Schlaflos - Insomnia
üblichen Albernheiten abzog. Sie hatte das Gelächter aus dem Park auch gehört. McGovern zweifellos auch, aber McGovern glaubte sicher, dass sie mit ihm lachten, nicht über ihn. Manchmal, überlegte sich Ralph müde, konnte ein leicht aufgeblasenes Ego ein Selbstschutz sein.
McGovern ließ sie los, dann nahm er den Fedora ab und schwenkte ihn über die Taille, während er eine übertriebene Verbeugung machte. Lois war zu sehr damit beschäftigt, sich zu vergewissern, dass ihre Seidenbluse rundherum noch im Rockbund steckte, um auf ihn zu achten. Ihre Röte verblasste schon wieder, und Ralph sah, dass sie blass und nicht besonders gut aussah. Er hoffte, dass sie keine Krankheit ausbrütete.
»Komm vorbei, wenn du kannst«, sagte sie leise zu Ralph.
»Mach ich, Lois.«
McGovern legte ihr einen Arm um die Taille, eine diesmal freundschaftlich und ehrlich gemeinte Geste der Zuneigung, und sie gingen gemeinsam die Straße hinauf. Während Ralph sie beobachtete, überkam ihn plötzlich ein starkes Déjà-vu-Erlebnis , als hätte er sie an einem anderen Ort schon einmal so gesehen. Oder in einem anderen Leben. Dann, als McGovern gerade den Arm sinken ließ und die Illusion zerstörte, fiel es ihm ein: Fred Astaire, der eine dunkelhaarige und etwas plumpe Ginger Rogers in eine Kleinstadtfilmkulisse führte, wo sie gemeinsam zu
einer Melodie von Jerome Kern oder vielleicht Irving Berlin tanzen würden.
Das ist unheimlich, dachte er und drehte sich wieder der kleinen Ladenzeile auf halbem Wege am Up-Mile Hill zu. Das ist sehr unheimlich, Ralph. Bill McGovern und Lois Chasse sind so weit von Fred Astaire und Ginger Rogers entfernt wie ma…
»Ralph?«, rief Lois, und er drehte sich um. Eine Kreuzung und fast ein ganzer Block lagen nun zwischen ihnen. Autos fuhren auf der Elizabeth Street hin und her, sodass Ralph sie nur mit stotternden Unterbrechungen sehen konnte.
»Was?«, rief er zurück.
»Du siehst besser aus! Ausgeruhter! Kannst du endlich wieder schlafen?«
»Ja!«, antwortete er und dachte: Noch eine kleine Notlüge für einen guten Zweck.
»Habe ich dir nicht gesagt, dass es dir wieder besser gehen würde, wenn das Wetter umschlägt? Wir sehen uns gleich!«
Lois winkte ihm mit den Fingern, und Ralph sah zu seinem Erstaunen, dass hellblaue diagonale Linien von den kurzen, aber sorgfältig manikürten Nägeln ausgingen. Sie sahen wie Kondensstreifen aus.
Was, zum Teufel …?
Er presste die Augen fest zu und riss sie wieder auf. Nichts. Nur Bill und Lois, die ihm die Rücken zukehrten und die Straße entlang zu Lois’ Haus gingen. Keine hellblauen Diagonalen in der Luft, nichts dergleichen …
Ralphs Blick fiel auf den Bürgersteig, und er stellte fest, dass Lois und Bill Spuren auf dem Beton zurückließen,
Spuren, die haargenau wie die Fußabdrücke in den alten Tanzkursen von Arthur Murray aussahen, die man früher per Post bestellen konnte. Die von Lois waren grau. McGoverns - größer, aber dennoch seltsam zierlich - waren von einem dunklen Olivgrün. Sie leuchteten auf dem Bürgersteig, und Ralph, der auf der anderen Seite der Elizabeth Street stand und das Kinn fast bis zum Brustbein hängen ließ, stellte plötzlich fest, dass er kleine Bänder bunten Rauchs von ihnen aufsteigen sehen konnte. Möglicherweise war es auch Dampf.
Ein städtischer Bus Richtung Old Cape schnarchte vorbei und versperrte ihm vorübergehend die Sicht auf die Straße, und als der Bus vorbei war, waren die Spuren verschwunden. Nichts war auf dem Bürgersteig zu sehen, abgesehen von einer Kreidebotschaft in einem verblassten rosa Herz: SAM + DEANIE 4-EVER.
Diese Spuren sind nicht verschwunden, Ralph; sie waren überhaupt nie da. Das weißt du doch, oder nicht?
Ja, er wusste es. Der Gedanke, dass Bill und Lois wie Fred Astaire und Ginger Rogers aussahen, war ihm zu Kopf gestiegen; es hatte eine seltsame bizarre Logik, sich nach diesem Gedanken Fußspuren einzubilden, die wie Schritte in alten Arthur Murray-Tanzdiagrammen aussahen. Dennoch war es beängstigend. Sein Herz schlug zu schnell, und als er einen Moment die Augen schloss und versuchte, sich zu beruhigen, sah er die Linien von Lois’ winkenden Fingern ausgehen wie hellblaue Kondensstreifen.
Ich muss mehr schlafen, dachte Ralph. Ich muss. Wenn ich nicht bald schlafen kann, werde ich alles Mögliche sehen.
»Das stimmt«, murmelte er, als er sich wieder zur Apotheke umdrehte. »Alles Mögliche.«
3
Zehn Minuten später stand Ralph vor der Rite-Aid-Apotheke
Weitere Kostenlose Bücher