Schlaflos - Insomnia
im Auge be…«
»Siehst du die Farben schon?«, fragte Ed. Seine Stimme klang wieder ruhig. Im selben Augenblick verschwand schlagartig das rote Leuchten um das Telefonkabel herum.
»Welche Farben?«, fragte Ralph schließlich.
Ed achtete nicht auf die Frage. »Du hast gesagt, du hast mich gern gehabt. Nun, ich mag dich auch. Ich habe dich immer gemocht. Daher werde ich dir jetzt einen sehr wertvollen Rat geben. Du treibst auf tiefe Wasser zu, und es schwimmen Dinge in der Strömung, die du dir nicht einmal vorstellen kannst. Du glaubst, ich bin verrückt, aber ich muss dir sagen, du weißt nicht, was Wahnsinn ist. Du
hast nicht die geringste Ahnung. Aber du wirst es erfahren, wenn du dich weiter in Dinge einmischst, die dich nichts angehen. Das kann ich dir versprechen.«
»Was für Dinge?«, fragte Ralph. Er versuchte, mit unbekümmerter Stimme zu sprechen, aber er umklammerte den Hörer immer noch so fest, dass seine Finger schmerzten.
»Mächte«, antwortete Ed. »Hier in Derry sind Mächte am Werk, von denen du gar nichts wissen willst. Hier gibt es … nun, sagen wir einfach, hier gibt es Wesenheiten . Sie haben dich noch nicht bemerkt, aber wenn du dich weiter mit mir anlegst, werden sie es. Und das möchtest du sicherlich nicht. Glaub mir, das willst du nicht.«
Mächte. Wesenheiten.
»Du hast mich gefragt, wie ich das alles herausgefunden habe. Wer mich ins Spiel gebracht hat. Erinnerst du dich, Ralph?«
»Ja.« Und das stimmte. Jetzt. Das hatte Ed als Letztes zu ihm gesagt, bevor er das breite Quizmastergrinsen aufgesetzt und zu den Cops gegangen war, um sie zu begrüßen. Ich habe die Farben gesehen, seit er hier war und es mir gesagt hat. Wir reden später darüber.
»Der Arzt hat es mir gesagt. Der kleine kahle Arzt. Ich glaube, mit ihm wirst du es zu tun bekommen, wenn du wieder versuchen solltest, dich in meine Angelegenheiten einzumischen. Und dann gnade dir Gott.«
»Der kleine kahle Arzt, hmhm«, sagte Ralph. »Ja, ich verstehe. Zuerst der Scharlachrote König und die Zenturionen, jetzt der kleine kahle Arzt. Ich nehme an, als Nächstes ist es…«
»Verschon mich mit deinem Sarkasmus, Ralph. Bleib einfach weg von mir und meinen Interessen, hast du verstanden? Bleib weg. «
Ein Klick, und die Leitung war tot. Ralph betrachtete den Telefonhörer in seiner Hand lange Zeit, dann legte er ihn langsam auf.
Bleib einfach weg von mir und meinen Interessen.
Ja, warum nicht? Er hatte genug vor seiner eigenen Tür zu kehren.
Ralph ging langsam in die Küche, schob ein tiefgefrorenes Fertiggericht in den Herd (Schellfischfilet, um genau zu sein) und versuchte, Abtreibungsproteste, Auren, Ed Deepneau und den Scharlachroten König aus seinen Gedanken zu verdrängen.
Das war leichter, als er erwartet hatte.
Kapitel 6
1
Der Sommer verging wie immer in Maine, fast unbemerkt. Ralph wachte auch weiterhin viel zu früh auf, und als das Laub der Bäume entlang der Harris Avenue in leuchtenden Farben brannte, schlug er jeden Morgen gegen 2.15 Uhr die Augen auf. Das war beschissen, aber er sah seinem Termin bei James Roy Hong entgegen, und das unheimliche Feuerwerk nach seiner ersten Begegnung mit Joe Wyzer hatte sich nicht mehr wiederholt. Gelegentlich sah er ein Flackern an den Rändern von Gegenständen, aber Ralph stellte fest, wenn er die Augen zukniff und bis fünf zählte, war das Flackern verschwunden, wenn er sie wieder aufschlug.
Nun … normalerweise verschwunden.
Susan Days Rede war auf Freitag, den achten Oktober, festgesetzt worden, und als der September zu Ende ging, nahmen die Proteste und öffentlichen Abtreibungsdebatten an Schärfe zu und kreisten immer mehr um ihren Auftritt. Ralph sah Ed häufig in den Fernsehnachrichten, manchmal in Begleitung von Dan Dalton, aber immer häufiger allein; er sprach stets rasch, argumentierte überzeugend und oft hatte er dabei einen schwachen Schimmer von Humor nicht nur in den Augen, sondern auch in der Stimme.
Die Leute mochten ihn, und die Friends of Life zogen offenbar die großen Mitgliederzahlen an, von denen Daily Bread, die politische Vorläuferorganisation, nur hatte träumen können. Es wurden keine Puppen mehr geworfen oder andere gewalttätige Demonstrationen durchgeführt, aber es gab jede Menge Protestmärsche und Gegenmärsche, jede Menge Beschimpfungen und Fäusteschütteln und wütende Leserbriefe. Prediger verhießen Verdammnis; Lehrer traten für Mäßigung und Bildung ein; ein halbes Dutzend junge Frauen, die sich selbst
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