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Schlaflos - Insomnia

Titel: Schlaflos - Insomnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Kesse Lesben für Jesus Christus nannten, wurden verhaftet, weil sie mit Spruchbändern wie VERPISST EUCH AUS MEINEM KÖRPER vor der Baptistenkirche von Derry aufmarschierten. Ein ungenannter Polizist wurde in den Derry News zitiert, er hoffe, Susan Day würde die Grippe oder so etwas bekommen und ihren Auftritt in Derry absagen.
    Ralph bekam keine Nachricht mehr von Ed, aber am einundzwanzigsten September erhielt er eine Postkarte von Helen mit vierzehn jubilierenden Worten, die auf die Rückseite gekritzelt waren: »Hurra, ein Job! Öffentliche Bücherei Derry! Ich fange nächsten Monat an! Bis bald - Helen.«
    Ralph, der sich fröhlicher als in der Nacht von Helens Anruf aus dem Krankenhaus fühlte, ging nach unten, um McGovern die Karte zu zeigen, aber die Tür der unteren Wohnung war verschlossen und verriegelt.
    Dann Lois … aber Lois war auch nicht da, wahrscheinlich zum Karten spielen oder in die Stadt gegangen, um Wolle für eine neue Decke zu kaufen.
    Leicht verdrossen grübelte Ralph darüber nach, dass die Leute, mit denen man gute Nachrichten am meisten teilen wollte, nie da waren, wenn man förmlich davon platzte,
und schlenderte in den Strawford-Park. Und dort fand er auch Bill McGovern. Er saß auf der Bank beim Softballfeld und weinte.

2
    Weinen war vielleicht übertrieben; Tränen vergießen hätte es besser getroffen. Mit einem Taschentuch, das aus einer knotigen Faust herauslugte, saß McGovern da und beobachtete eine Mutter und ihren kleinen Sohn, die sich an der Linie des ersten Mals einen Ball zurollten. Vor zwei Tagen erst war das letzte große Softballereignis der Saison - das Intramural City Tournament - dort auf dem Spielfeld zu Ende gegangen.
    Ab und zu hob er die Faust mit dem Taschentuch zum Gesicht und wischte sich die Augen ab. Ralph, der McGovern noch nie weinen gesehen hatte - nicht einmal bei Carolyns Beerdigung -, verweilte noch einen Moment beim Spielplatz und fragte sich, ob er zu McGovern oder einfach wieder nach Hause gehen sollte.
    Schließlich nahm er allen Mut zusammen und ging zu der Parkbank. »Hallo, Bill«, sagte er.
    McGovern sah ein wenig verlegen mit roten, feuchten Augen auf. Er trocknete sie erneut und versuchte zu lächeln. »Hi, Ralph. Du hast mich beim Flennen erwischt. Entschuldige.«
    »Schon gut«, sagte Ralph und setzte sich. »Ich habe auch schon oft genug geweint. Was ist denn?«
    McGovern zuckte die Achseln, dann tupfte er sich wieder die Augen ab. »Nichts weiter. Ich leide an den Folgen eines Paradoxons, das ist alles.«

    »Und was wäre das für ein Paradoxon?«
    »Einem meiner ältesten Freunde - dem Mann, der mir meine erste Stelle als Lehrer gegeben hat - passiert etwas Gutes. Er liegt im Sterben.«
    Ralph zog die Brauen hoch, sagte aber nichts.
    »Er hat eine Lungenentzündung. Seine Nichte wird ihn vermutlich heute oder morgen ins Krankenhaus schaffen, dort werden sie ihn zumindest eine Weile an ein Beatmungsgerät anschließen, aber er wird mit ziemlicher Sicherheit sterben. Ich werde seinen Tod feiern, wenn es so weit ist, und ich glaube, das deprimiert mich am allermeisten.« McGovern machte eine Pause. »Du verstehst kein Wort von dem, was ich sage, oder?«
    »Nee«, sagte Ralph. »Aber das macht nichts.«
    McGovern sah ihm ins Gesicht, stutzte und schnaubte. Das Geräusch hörte sich schroff und tränenfeucht an, aber Ralph fand, dass es trotzdem ein richtiges Lachen war, und riskierte ein zaghaftes Lächeln als Erwiderung.
    »Hab ich was Komisches gesagt?«
    »Nein«, sagte McGovern und klopfte ihm leicht auf die Schulter. »Ich habe nur dein Gesicht betrachtet, so ernst und aufrichtig - du bist wirklich ein offenes Buch, Ralph -, und da musste ich daran denken, wie sehr ich dich mag. Manchmal wünschte ich, ich könnte du sein .«
    »Ganz bestimmt nicht um drei Uhr morgens«, sagte Ralph leise.
    McGovern seufzte und nickte. »Die Schlaflosigkeit.«
    »Ganz recht. Die Schlaflosigkeit.«
    »Tut mir leid, dass ich gelacht habe, aber …«
    »Du musst dich nicht entschuldigen, Bill.«

    »… aber bitte glaube mir, wenn ich sage, dass es ein bewunderndes Lachen war.«
    »Wer ist dein Freund, und warum ist es gut, dass er stirbt?«, fragte Ralph. Er vermutete bereits, was die Wurzel von McGoverns Paradoxon war; ganz so blauäugig naiv, wie Bill manchmal zu glauben schien, war er nun doch nicht.
    »Er heißt Bob Polhurst, und seine Lungenentzündung ist eine gute Nachricht, weil er seit dem Sommer’88 an der Alzheimerschen Krankheit

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