Schlaflos
rebellische
Anwandlung.
»Um eine magische Handlung aufzuheben, müssen dieselben
Schritte in umgekehrter Reihenfolge durchgeführt werden. Hat dieser Sterbliche,
der dein Vater war, herausgefunden, wie der Zauber rückgängig gemacht werden
kann?«
»Er fand Formeln und Gesten. Aber als er versuchte, das
Artefakt damit zu sich zu rufen, hat es nicht funktioniert. Er glaubte, es läge
daran, dass er zu wenig Energie zur Verfügung hatte. Deshalb ging er mit uns,
seiner Familie, zu einem alten, magischen Ort. Einem Megalithen, in einem
kleinen Wald. Dort führten wir das Ritual zu fünft aus.« Ihre Sicht verschwamm.
Sie blinzelte die Tränen fort. Es war das letzte Mal gewesen, dass sie ihre
Lieben unversehrt sah. »Wir wussten nicht, dass die zerfallenen Orte keine
Magie mehr entfalten. Wir haben nur Bastiens Aufmerksamkeit auf uns gezogen.
Mein Vater verstand sich auf ein paar einfache Zaubertricks. Er hat die
Erinnerung tief in unseren Köpfen vergraben. Aber Bastien ließ sich nicht
täuschen.«
Sie verstummte. Nicht nur weil ihre Geschichte zu Ende war.
Heiße Tränen erstickten ihre Stimme. Ihre wiedergefundenen Erinnerungen fühlten
sich so frisch und schmerzlich an, als wäre alles erst gestern geschehen. Die
Lichtgestalten blickten gänzlich ungerührt auf sie herab.
»Dieser Sterbliche war ein Dummkopf«, urteilte der erste
Engel kalt. »Um einen Spalt zwischen den Dimensionen zu öffnen, ist
unvergleichlich viel mehr Energie erforderlich, als ein paar Menschen
aufbringen können.«
»Dieses Problem wird heute nicht auftreten.« Der dritte Engel
lächelte. Der Anblick seiner Zähne, die wie Leuchtdioden glühten, erschreckte
sie mehr, als die Kälte der anderen.
»Die Schlaflose wird das Ritual durchführen.«
12
»Das Licht kann dir nichts anhaben«, raunte Armand ihr zu. Er
spürte ihre Angst, aber auch ihren Widerstand. »Wenn du versuchst, dich zu
weigern, werden sie dich zwingen.« Er ergriff ihre Schulter, sein Blick
beschwor sie. »Dann könnten sie etwas tun, das dir wirklich Schaden zufügt.
Verstehst du das?«
»Und was machen sie mit dir, wenn du mich nicht dazu bringst,
zu kuschen? Oder wenn ich es nicht schaffe?«
Ihre Frage sollte ihn herausfordern, ihn ihre Enttäuschung
spüren lassen. Er hatte die ganze Zeit im Auftrag der Erzengel gehandelt!
Zu ihrem Verdruss änderte Madeleines Ernüchterung nichts an
ihren Gefühlen für ihn. Gegen ihren Willen war es vor allem ihre Sorge, die in
ihrer Stimme mitschwang.
Er schüttelte den Kopf. »Mach dir darüber keine Gedanken.«
Madeleine schluckte. Die Energiesäule, die vor ihr in den
wolkenlosen Himmel aufragte, durchmaß jetzt mehrere Meter und reichte womöglich
bis in den Weltraum. Von Armands protzigem Wagen war nichts mehr zu entdecken.
Hatte der Maibach sich in diesem Licht aufgelöst?
»Schließe am besten die Augen.« Behutsam schob er sie auf die
Säule zu. »Es ist wie ein kühler Luftzug.«
Mit zusammengekniffenen Augen überschritt Madeleine die
Grenze des Energiestrahls. Sofort spürte sie einen heftigen Sog. Ihre Haare
flogen senkrecht nach oben. Dieser Wind war nicht nur kühl. Er war eisig kalt!
Sie öffnete die Augen. Irina und Armand waren nur
verschwommene Gestalten, durch den Vorhang aus strömendem Licht. Dafür sah sie
die Erzengel jetzt um so deutlicher, ihre hochmütigen, erwartungsvollen
Gesichter. Ein Moment heller Panik presste ihr Herz zusammen. Ihr Vater hatte
ihr versichert, dass sie nichts von dem, was er ihr in diesem Traum mitteilte,
vergessen konnte. Doch jetzt wollte ihr der Beginn des Rituals nicht einfallen!
Es gelang ihr, die Furcht zurückzudrängen. Ihre Arme hoben
sich wie von selbst, elegant gestikulierend, während der Luftsog ihre ersten
Worte mit sich riss.
Madeleine erinnerte sich nur noch verschwommen an die Zeit,
die sie in der Energiesäule verbrachte. Was ihr sehr genau im Gedächtnis blieb,
war die Kälte und der Moment, als im Zentrum des Lichtes, direkt vor ihr, eine
Lücke entstand. Zuerst war es nur ein schwarzer Blitz inmitten von Gold. Der
Riss klaffte auf und etwas waberte daraus hervor. Es war nicht einfach nur
Dunkelheit. Die bloße Abwesenheit von Licht konnte etwas derart Monströses und
Bösartiges nicht hervorbringen. Das Dunkel wollte aus dem Spalt herausgreifen
und sie hinein ziehen. Ihre Lippen weigerten sich weiterzusprechen und ihre
Füße wollten in heller Panik davonlaufen. Doch die Erzengel umringten sie. Ihre
Gegenwart war es, die das Wabern in
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