Schlaflos
Er hockte sich auf ein kleines
Fass, das ihrer Kiste gegenüberstand, und sah sie an. Wenn sie ihn überzeugen
wollte, durfte sie sich nicht von ihrer Panik überwältigen lassen. Sie musste
vernünftig und logisch argumentieren.
»Ich weiß nicht, wie gut du Bastien kennst ...«
»Ich hatte in den letzten Jahren ein paar Mal das
zweifelhafte Vergnügen, ihn in die Schranken weisen zu müssen. Er baut seinen
Machtbereich immer weiter aus und schert sich um nichts.« Armand grinste
schief. »Du brauchst dir also keine Vorwürfe zu machen. Du bringst mich nicht
in Gefahr. Unser Freund würde sich die Gelegenheit, es mir heimzuzahlen, auf
keinen Fall entgehen lassen.«
»Ich bin sicher, er hat sich sofort auf den Weg gemacht.
Sobald er bemerkte, dass etwas vor sich geht.« Madeleine ertappte sich dabei,
wie sie beschwörend gestikulierte. Sie zwang die Hände in ihren Schoß. »Er
besitzt Gerätschaften und beschäftigt einen Seher …«
Armand nickte. »Ich weiß.«
Wut kochte in ihrem Bauch auf. Mühsam hielt Madeleine ihre
Gefühle in Schach.
»Er wird sich vom Tageslicht nicht aufhalten lassen.
Wahrscheinlich steht er in ein paar Stunden vor der Tür. Und du glaubst doch
nicht, dass er alleine kommt?«
»Er wird jeden Mann mitbringen, den er auftreiben kann. Alles
andere wäre eine Beleidigung. Schließlich weiß er nicht, wie viel Energie mir
noch zur Verfügung steht.«
Ihr Blick streifte sein braunes Haar und seine Augen, die
beinahe so dunkel waren, wie ihre eigenen.
»Was tun wir hier? Warum hat Irina uns nicht wenigstens zum
nächsten Bahnhof gebracht? Wir könnten längst in einem Zug sitzen ...«
Madeleine verstummte verzweifelt.
Armands Miene verdüsterte sich. »Es macht keinen Sinn zu
fliehen! Wie soll das weitergehen? Willst du bis in alle Ewigkeit davonlaufen?«
Madeleine gab es auf, ihren Zorn kontrollieren zu wollen. Die
Erinnerung an ihre jahrzehntelange Flucht verstärkte ihre Wut.
»Nenn mich meinetwegen einen Feigling! Ich werde mich nicht von Bastien
gefangen nehmen und umbringen lassen. Wenn du den unbezwingbaren Helden spielen
musst, bitte.«
Sie sprang auf. Ehe sie die Treppe erreichte, schlangen sich
Armands Arme um ihre Schultern. »Madeleine, sei vernünftig!« Er drehte sie zu
sich um. Bei Nacht wäre es ihm wohl nicht gelungen, sie mit reiner Körperkraft
festzuhalten. »Zu Fuß, im Sonnenschein, kommst du keinen Kilometer weit.«
»Immer noch besser als hier zu hocken und darauf zu warten,
dass er uns beide umbringt.«
»Das wird er nicht! Das lasse ich nicht zu, hörst du!«
Sie wandte den Blick ab, versuchte, sich loszureißen. Sie
glaubte nicht wirklich, dass es ihr gelang, Bastien zu Fuß zu entkommen. Aber
auf keinen Fall wollte sie zusehen, wie Armand vor ihren Augen getötet wurde.
»Madeleine, sieh mich an!« Er musste ein klein wenig seiner
Lichtenergie in seine Stimme gelegt haben, denn es war unmöglich, den Befehl zu
ignorieren. »Ich weiß, dass es nicht besonders gut aussieht.«
Zum ersten Mal sah sie ihren Engel um Worte ringen.
Mein Engel? Mein Unterbewusstsein hat eindeutig nicht alle
Tassen im Schrank!
»Ich habe eine Chance, mit de Villefort fertig zu werden! Und
auch mit seinen Lakaien!«
Natürlich wollte er sie beruhigen, ihre Angst beschwichtigen.
Wer würde schon mit einer hysterischen Frau den Tag in diesem Keller verbringen
wollen? Wobei - es gab keinen vernünftigen Grund, warum Armand hier unten bei
ihr sitzen sollte. So weit sie wusste, müsste ein Tag in der Sonne seinen
Energiereserven sogar gut tun.
»Ich kann dich nur bitten, mir zu glauben!«
Sie entspannte sich mühsam, bis er sie losließ. Auch weil sie
fürchtete, er könnte noch mehr Lichtenergie aufbrauchen, nur, damit sie ruhig
bleib. Als sie mit hängenden Schultern vor ihm stand, fuhr er fort: »Es tut mir
leid, Madeleine. Ich wünschte, ich könnte dir erklären ...«
Sie schwieg. Der Vorwurf war deutlich in ihren Augen zu
lesen.
»Es ist nicht so, dass ich dir nicht vertraue! Aber sag mir
doch, wie hat de Villefort es immer wieder geschafft dich aufzuspüren? Wie
haben seine Lakaien dich gefunden?«
»Das weiß ich nicht«, gestand sie ein.
»Ich denke, es könnte eine Verbindung geben. Eine Verbindung
zwischen Schöpfer und Zögling. Und zwischen den Zöglingen eines Schöpfers
untereinander.«
Widerwillig nickte sie. Schließlich hatte sie diesen Gedanken
selbst schon gehabt. »Du fürchtest, er könnte meine Gedanken lesen? So weit
kann es nicht gehen. Ich wäre
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