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Schlafwandler

Schlafwandler

Titel: Schlafwandler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grossman
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Alt, aber
solide.« Er klopfte auf den Schreibtisch. »Solche
Möbel werden schon lange nicht mehr
hergestellt.«
    »Wer genau hat
die Anstalt übernommen? Und wer hat Ihnen die Möbel
verkauft?«
    Das Lächeln
erlosch. »Ich wüsste nicht, was das für eine Rolle
spielen sollte.«
    »Ich bin nur
neugierig.«
    »Hören Sie,
wenn Sie nichts kaufen wollen …«
    »Das habe ich
nicht gesagt. Ich sagte nur, ich wäre neugierig, zu erfahren,
wer Ihnen die Möbel verkauft hat.«
    Greitz wippte auf den
Zehen vor und zurück und warf seiner Frau einen bösen
Blick zu, weil sie ihn nicht gewarnt hatte. »Ich rede nicht
über meine Lieferanten, mein Herr. So etwas ist schlecht
für das Geschäft.«
    »Manchmal«, Kraus
zückte seine Kripomarke, »ist es aber auch gut für
das Geschäft.«
    Dem Mann wich
sämtliches Blut aus dem Gesicht.
    Seine Frau bekreuzigte
sich mehrmals hintereinander. Dann schnappte sie heftig nach Luft
und brach in Schluchzen aus. »Um Himmels willen, lassen sie
uns doch in Frieden! Haben Sie eine Ahnung, was sie uns antun, wenn
wir …«
    »Liesel, hast du
den Verstand verloren?«
    Kraus bekämpfte
Feuer mit Feuer. »Wenn Sie wissen, was gut für Sie ist,
dann kooperieren Sie!«, drohte er. »Es sei denn, Sie
möchten gern die Kellergewölbe des Alex
kennenlernen.«
    »Was gut
für mich ist?« Greitz’ Wangen zitterten fast so
heftig wie die seiner Frau. »Wenn ich wüsste, was gut
für mich ist, würde ich Sie mit einer Eisenstange von
hier wegjagen!«
    Allein dafür
hätte Kraus ihn verhaften können. Aber selbst auf dem
Schlachtfeld hatte er keine Menschen, die mehr Angst hatten, erlebt
als diese beiden Leute. Offenbar waren die Zwänge, denen sie
ausgesetzt waren, schlimmer als alles, womit er ihnen drohen
konnte. Er besänftigte seinen Tonfall.
    »Wenn Sie mich
wegjagen, Greitz, dann komme ich morgen mit mehr Kriminalbeamten
zurück und verhafte Sie. Und wenn ich Sie verhafte, ob heute,
morgen oder nächste Woche, dann wird jeder in dieser Stadt es
erfahren. Und auch die Leute, vor denen Sie so viel Angst
haben.«
    Der Tick in der Wange
der Frau verstärkte sich auf beunruhigende Weise. Kraus
fürchtete schon, dass sie einen Schlaganfall bekommen
könnte. Aber er wollte nicht aufgeben.
    »Mein Kollege
und ich haben heute mit einem Dutzend Einwohnern gesprochen.
Niemand muss auch nur Verdacht schöpfen, dass Sie mit mir
geredet haben. Und wenn Sie sich dann besser fühlen, brauchen
Sie mir gar nichts zu sagen. Zeigen Sie mir einfach nur den
Verkaufsbeleg für diese Möbel.«
    Kraus verließ
Oranienburg mit seinem Opel im Tiefflug. Der ganze Fall schien
ausgebreitet vor ihm zu liegen. Laut Verkaufsbeleg hatte Greitz im
Januar 1932 zweihundertfünfzig Stühle, Schreibtische und
etliche andere Einrichtungsgegenstände aus der alten
Nervenheilanstalt Oranienburg erworben, die jetzt unter der neuen
Verwaltung einer Agentur stand, die nur ihre Initialen benutzte:
IRH. Und die der Anstalt einen neuen Namen gegeben hatte: Lager
Sachsenhausen.     
    Er hatte den
verfluchten Ort gefunden.
    Jetzt brauchte er nur
noch eine Aufklärungsmission zu starten, die
funktionierte.
    Denn er musste immer
noch herausfinden, wie viele Menschen dort arbeiteten, wie viele
Wachen es gab und wie gut sie bewaffnet waren. Dann konnten sie am
nächsten Thorrablot … an Thor-Blut diese ganze
stinkende Einrichtung niederreißen.
    Er dachte wieder an
Fritz. An seine Nachricht von gestern.
    »Gunther.«
Er setzte den jungen Mann in Tegel ab. »Fahren Sie mit der
S-Bahn zur Staatsbibliothek. Halten Sie unterwegs nicht an, auch
nicht zum Mittagessen. Beschaffen Sie mir alles über die alte
Anstalt, was Sie in die Finger bekommen. Wirklich
alles.«
    »Klar,
Chef.« Gunthers blaue Augen funkelten. »Und …
Chef?«
    »Was?«
    »Danke. Für
alles.« Dann überraschte er Kraus, indem er ihn fest
umarmte, bevor er davonrannte.
    Fritz’
großes Glashaus im Grunewald glitzerte zwischen den
Bäumen. Der verletzte Krieger begrüßte ihn an der
Tür. Seine Schulter sei vollkommen verheilt, behauptete er,
obwohl er den Arm noch in einer Schlinge trug. »Trotz des
vielen Bluts war es letztlich nur eine Fleischwunde. Magst du etwas
trinken? Das muss das zehnte Mal gewesen sein, dass du mir das
Leben gerettet hast, Willi.«
    Bei einem Whisky Soda
setzte Kraus ihn über alles ins Bild, was sich seit diesem
schrecklichen Morgen im Wald ereignet hatte. Der Große
Gustave. Sein Treffen mit Frau Meckel. Seine disziplinarische
Probezeit.

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