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Schlamm, Schweiß und Tränen

Schlamm, Schweiß und Tränen

Titel: Schlamm, Schweiß und Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bear Grylls
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schnellsten und hellsten Kopf auf diesem Planeten zu
werden.
    Doch fürs Erste ließ ich meinen Tränen freien Lauf.

    Ich schreckte aus dem Schlaf hoch; ich war schweißgebadet und
atmete hektisch. Es war das dritte Mal, dass ich diesen Albtraum hatte: Ich durchlebte dieses furchtbare Gefühl, unaufhaltsam in die Tiefe zu stürzen und hilflos zusehen zu müssen, wie der Boden immer
näher kommt.
    Mittlerweile waren es fast zwei Monate, in denen ich einfach nur
bäuchlings dalag und in denen meine Wirbelsäulenverletzung angeblich heilen sollte. Doch es ging mir kein bisschen besser.
    Genau genommen wurden meine Rückenschmerzen sogar noch
schlimmer.
    Und da ich mich so gar nicht regen konnte, stieg mit der Zeit eine
Wahnsinnswut in mir hoch. Ich war wütend auf mich selbst, wütend
auf alles um mich herum.
    Und ich war wütend, weil ich eine Scheißangst hatte.
    All meine Zukunftspläne und all meine Träume waren zerplatzt.
Auf einmal war alles ungewiss. Ich wusste nicht, ob ich überhaupt
beim SAS bleiben könnte. Ich wusste ja noch nicht einmal, ob ich
überhaupt wieder gesund werde.
    Während ich so dalag - bewegungsunfähig und schweißgebadet
vor Angst und Enttäuschung -, konnte ich lediglich in Gedanken
diesem Dilemma entfliehen.
    Es gab doch so vieles, was ich noch unheimlich gern machen wollte.
    Als ich meinen Blick durch mein Schlafzimmer schweifen ließ,
kam es mir auf einmal so vor, als ob der Mount Everest auf diesem alten Foto an der Wand regelrecht auf mich herunterschielte.
    Da war doch dieser verrückte Traum, den mein Vater und ich gemeinsam gehegt hatten.
    Allerdings hatte ihn mittlerweile dasselbe Schicksal ereilt, das so
viele Träume ereilt - dass es eben nur Träume sind - nicht mehr und
nicht weniger.
    Verstaubte Illusionen. Sie werden niemals verwirklicht.
    Und außerdem lag dieser Traum einer Everest-Besteigung so weit
außerhalb der Grenzen des Machbaren wie nie zuvor.

    Wochen später - ich trug noch immer mein Stützkorsett - habe
ich mich mit großer Mühe zu diesem Bild geschleppt und es von der
Wand genommen.
    Die Leute haben oft zu mir gesagt, dass ich es vermutlich nur meiner unglaublich positiven Einstellung zu verdanken habe, dass ich
mich überhaupt von einer solch schweren Rückenverletzung erholt
habe. Aber - um ehrlich zu sein - das wäre glatt gelogen, denn dies
war die düsterste und schlimmste Zeit meines Lebens.
    Ich hatte meine Abenteuerlust und meinen Kampfgeist verloren,
doch das sind genau die Eigenschaften, die mich am meisten auszeichnen.
    Denn wenn man seinen Kampfgeist verloren hat, ist es sehr
schwer, wieder gesund zu werden.
    Immerhin wusste ich ja noch nicht einmal, ob ich irgendwann soweit wiederhergestellt sein würde, dass ich wieder gehen kann - vom
Klettern oder davon, meinen Dienst als Soldat zu verrichten, gar nicht
erst zu reden.
    Und dann war da die große Frage, wie ich wohl den Rest meines
Lebens verbringen würde. Allerdings wollte sich in meiner aktuellen
chaotischen Situation nicht so recht eine Perspektive abzeichnen.
    Vielmehr hatte ich dieses schier grenzenlose Selbstvertrauen verloren, wie es gerade für junge Menschen typisch ist.
    Ich hatte keine Ahnung, was und wie viel ich künftig körperlich
zu leisten in der Lage sein würde - und das war verdammt hart.
    Schließlich war meine Persönlichkeit doch sehr stark durch körperliche Aktivität geprägt.
    Momentan fühlte ich mich dieser Situation einfach schutzlos ausgeliefert.
    Denn wenn man nur unter allergrößten Schmerzen in der Lage
ist, sich zu bücken, um seine Schnürsenkel zuzubinden oder sich leicht
umzudrehen, um sich den Hintern abzuwischen, fühlt man sich verdammt hilflos.
    Beim SAS hatte ich nicht nur eine Aufgabe, sondern auch Kameraden. Doch zu Hause lag ich ganz allein in meinem Zimmer und
hatte das Gefühl, dass ich weder das eine noch das andere hatte. Und gegen dieses zermürbende Gefühl anzukämpfen, ist wahnsinnig
schwer. Denn der Gegner - gemeinhin auch Verzweiflung genannt -
ist sehr mächtig.

    Wenn ich also wieder gesund werden wollte, würde ein Riesenberg
Arbeit vor mir liegen, der eine ebenso große Herausforderung für
mich darstellen würde, wie den Mount Everest zu besteigen.
    Doch wie sich später herausstellen sollte, war der Riesenberg Arbeit,
den ich bewältigen musste und der letztlich den Ausschlag für meine
Genesung gegeben hat, in der Tat ein Berg - nämlich dieser Berg.
    Der Mount Everest - der größte und

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