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Schlamm, Schweiß und Tränen

Schlamm, Schweiß und Tränen

Titel: Schlamm, Schweiß und Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bear Grylls
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in die Lage
versetzt, jene überlebenswichtigen Lasten zu tragen, die normale
Bergsteiger eben nicht selbst zu tragen vermögen.
    Das ist auch der Grund, warum die Sherpas zweifellos die wahren
Helden auf dem Mount Everest sind.
    Denn wer auf einer Höhe von ungefähr 3.700 Metern geboren
wird und aufwächst, dem liegt diese Höhe förmlich im Blut. Doch
hoch oben, oberhalb von 7.500 Metern macht diese extreme Höhe
auch den Sherpas zu schaffen; dann werden auch sie - genauso wie
alle anderen - zunehmend und unweigerlich langsamer.
    Jegliches Vorankommen in dieser Höhe beschränkt sich auf ein
quälend langsames und schmerzvolles Dahinkriechen im Schneckentempo, während man glaubt, dass einem die Lunge aus dem Leib gerissen wird. Zwei Schritte, dann wieder eine Pause. Zwei Schritte,
dann wieder eine Pause.
    Diesen extrem schwerfälligen Trott nennt man auch den „Everest
Shuffle".

    Experten sagen, dass man im Grunde genommen den Mount Everest insgesamt mehr als fünfmal besteigen muss, bevor der Akklimatisationsprozess erfolgreich abgeschlossen ist und man es überhaupt wagen kann, den Gipfelanstieg in Angriff zu nehmen. Das liegt einfach daran, dass man während der Akklimatisation zwei Rotationen
durchlaufen muss, indem man kontinuierlich zuerst bergauf und danach wieder bergab steigt, um dem Körper so die Möglichkeit zu geben, sich ganz allmählich an die extremen Höhenlagen anzupassen.

    Am Anfang mussten wir noch jedes Mal, wenn wir uns auf eine
neue Höhenstufe vorgearbeitet hatten, spätestens bis zum Abend wieder in Richtung Basislager absteigen, damit sich unser Körper von
dieser immensen Kraftanstrengung erholen konnte.
    Die vielen Stunden, in denen wir uns mühsam ein paar Höhenmeter nach oben gekämpft hatten, wurden in nur einer oder zwei Stunden wieder zunichte gemacht, weil wir uns dann an denselben vergletscherten Steilwänden wieder nach unten abseilen mussten. „Hoch
klettern und tief schlafen", so funktioniert das Prinzip der Akklimatisation zwar optimal, aber auch die Motivation leidet ganz gewaltig.
    Zehn Stunden für den Aufstieg, eine Stunde fürs Abseilen zum
Ausgangspunkt.
    Auf Lager 3 in einer Höhe von fast 7.500 Metern hätten wir dann
die höchste Höhenstufe erreicht, an die unser Körper sich noch halbwegs anpassen kann.
    Jenseits dieser Höhe ist keine Anpassung mehr möglich und unser
Körper „stirbt" langsam, aber sicher an Sauerstoffmangel, wenn wir in
diese als „Todeszone" bezeichnete Höhenstufe vorstoßen. Denn in
dieser Höhe funktionieren die Verdauung und folglich auch der Stoffwechsel nicht mehr richtig und durch den extremen Sauerstoffmangel
in der dünnen Luft wird der Körper schlagartig schwächer.
    Natürlich war uns von Anfang an klar, dass diese Gipfelbesteigung sich zu einem systematischen Zermürbungskrieg entwickeln
würde, weil wir ja einerseits unbedingt unseren Akklimatisationsplan
einhalten, andererseits aber auch dafür sorgen mussten, dass wir weiterhin hoch motiviert und fest entschlossen blieben. Allerdings waren
dabei zusätzliche Störfaktoren wie Krankheit, Erschöpfung, Verletzung und schlechtes Wetter noch nicht eingerechnet.
    Im Stillen wussten wir aber alle, dass sehr viele Faktoren sich zur
rechten Zeit zum Guten fügen müssten, wenn wir diese Expedition erfolgreich zu Ende bringen wollten. Deshalb spielt auch bei jeder
Everest-Besteigung das Glück eine sehr wesentliche Rolle.

    Unser Ziel war daher, uns so schnell wie nur möglich - bestenfalls
bis Ende April - an die Höhenstufe von Lager 3 zu akklimatisieren.
Danach wäre unser größter Gegner das Wetter und die extrem starken Höhenwinde der Jetstreams.
    Denn diese Winde sind dafür verantwortlich, dass der Berg die
meiste Zeit des Jahres über nicht bestiegen werden kann. Die Jetstreams erreichen so hohe Geschwindigkeiten, dass sie einen Bergsteiger im wahrsten Sinne des Wortes vom Berg fegen können.
    Aber zweimal im Jahr, wenn die warmen Monsunwinde nach
Norden über das Gebirgssystem des Himalajas hinwegziehen, werden
die Jetstreams schwächer.
    Dieser Zeitraum gilt als das sogenannte „Silent Beckoning" - ein
stummer Wink des Berges, der sich für ein paar wertvolle Tage in eine
außergewöhnliche Windstille hüllt.
    Wann sich dieses kleine Zeitfenster öffnet und für wie lange es
letztlich geöffnet bleibt, ist nicht genau vorhersagbar, doch jeder Gipfelstürmer auf dem Everest lässt sich auf dieses Wagnis ein.
    Falls man dieses

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