Schlamm, Schweiß und Tränen
meinen Ohren
unwillkürlich falsch an. Denn man kann einen Berg niemals bezwingen. Wir haben den Gipfel - wenn auch mit knapper Not - nur erklommen, weil der Mount Everest uns dies gestattet hat und ebenso
hat er uns - lebendig und wohlbehalten - auch wieder ziehen lassen.
Nicht alle Gipfelstürmer hatten so viel Glück.
Noch nie wurde der Everest bezwungen, und er wird auch nie bezwungen werden. Das ist ja gerade das Besondere an diesem Berg.
Eine von vielen anderen Fragen, die mir oft nach meiner Rückkehr
gestellt wurden, war: „Haben Sie dort oben auf dem Berg Gott gefunden?" Die eigentliche Antwort auf diese Frage lautet, dass man nicht
erst auf einen hohen Berg steigen muss, um zum Glauben zu finden.
Das kann man viel leichter haben - Gott sei Dank.
Wenn man mich aber danach gefragt hätte, ob Gott mir dabei geholfen hat, den Berg zu erklimmen, dann wäre meine Antwort eindeutig ja gewesen.
Und zwar auf dem gesamten Weg, bei jedem einzelnen stockenden Schritt.
Allerdings wäre meine Everest-Geschichte nicht vollständig, wenn ich zum Schluss nicht auch noch den Sherpas Dank und Anerkennung dafür zollen würde, dass sie jeden Tag Seite an Seite mit uns ihr Leben riskiert haben.
Pasang und Ang-Sering sind die allerbesten Freunde und besteigen den Berg noch immer gemeinsam unter dem Kommando ihres Sirdars, dem Chef-Sherpa Kami. Nima ist der Experte für den KhumbuEisbruch und erledigt nach wie vor tapfer seine Aufgabe in diesem bizarren Labyrinth aus geborstenen Eisblöcken und tiefen Gletscherspalten: Er kontrolliert und repariert nicht nur ständig die Fixseile entlang der Aufstiegsroute durch den Eisbruch, sondern versichert auch eine neue Route mit Fixseilen, sobald die alte nicht mehr begehbar ist.
Babu Chiri - er hatte Mick so heldenhaft gerettet, als diesem unterhalb vom Südgipfel der Sauerstoff ausgegangen war - ist nur wenige Jahre später auf tragische Weise ums Leben gekommen, als er im Western Cwm in eine tiefe Gletscherspalte stürzte. Er hatte als Sherpa etliche Jahre Gipfel-Erfahrung und gehörte wahrhaft zu den ganz Großen unter den Everest-Bergsteigern.' Sein Tod war ein großer Verlust für die ganze Bergsteiger-Community.
Doch wenn man das Schicksal nur lange genug herausfordert, wird man schließlich irgendwann auch verlieren. So sieht nun mal die brutale Realität beim Höhenbergsteigen aus.
Man kann sich eben nicht für alle Zeiten auf dem Dach der Welt halten.
Geoffrey ging wieder zur Armee und Neil zurück in sein Unternehmen. Das Taubheitsgefühl in seinen Zehen ist zwar geblieben, aber immerhin mussten sie nicht amputiert werden. Allerdings - so
heißt es - fordert der Everest immer von jedem ein gewisses Opfer,
doch nach Neils eigener Einschätzung hat er noch einmal großes
Glück gehabt.
Was Mick betrifft, so hat er sein Everest-Erlebnis sehr treffend beschrieben: „In den drei Monaten, die ich weg war, habe ich mich nicht
nur glücklicher gefühlt als je zuvor, sondern ich habe auch mehr Angst
ausgestanden, als ich je wieder ausstehen möchte."
Na, hör mal. Nicht umsonst gilt das Höhenbergsteigen als Extremsport.
Mein Freund lhengba, mit dem ich so viele Tage ganz allein in
Lager 2 verbracht habe, hat von Henry endlich ein Hörgerät bekommen. Jetzt kann er das erste Mal in seinem Leben richtig hören.
Obwohl wir in verschiedenen Welten lebten, haben wir dennoch
eine enge Verbundenheit mit diesen wunderbaren Sherpas gespürt -
eine Freundschaft, die durch einen außergewöhnlichen Berg entstanden ist.
Als der Bergsteiger und Schriftsteller Julius Kugy einmal gefragt
wurde, über welche Eigenschaften ein Bergsteiger verfügen sollte,
antwortete er, ein echter Bergsteiger müsse „wahrhaft sein, vornehm
und bescheiden."
Die Sherpas verkörpern all diese Eigenschaften. Mit ihrer Hilfe
konnte ich den Gipfel ersteigen und ich verdanke ihnen sehr viel
mehr, als ich in Worten auszudrücken vermag.
Der große Everest-Schriftsteller Walt Unsworth beschreibt in seinem Buch Everest: Zhe Mountaineering History sehr eindrucksvoll die
Charaktereigenschaften jener Männer und Frauen, die absolut ihr
Letztes geben, um diesen Berg zu besteigen.
Ich denke, mit seiner Beschreibung trifft er haargenau ins
Schwarze.
Für manche Menschen jedoch gehtgerade von etwas Unerreichbarem
eine magische Anziehungskraft aus.
Und fürgewöhnlich sind diese Menschen noch nicht einmal Experten:
Denn allein ihr Ehrgeiz und ihre Gipfelfantasien genügen schon, um
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