Schlamm, Schweiß und Tränen
zu Fuß. Ich liebte das Gefühl
von Freiheit und Unabhängigkeit, wenn ich Kapitän war auf dem
Boot, das ich übers Meer steuerte.
Außerdem lag ich meinem Vater ständig in den Ohren, mir doch
zu erlauben, mal allein mit Laras Laser-Segelboot hinauszufahren, das
wir gebraucht gekauft hatten. (Es war eine einfache Einhand-Jolle, ein
schnelles Dingi, das superleicht kentern konnte und das von jemandem gesegelt werden sollte, der beträchtlich mehr an Gewicht auf die Waage bringt, als ein schwächlicher Elfjähriger zu bieten hatte.)
Denn allein der Gedanke daran, diese Herausforderung zu meistern, ließ mich nicht mehr los - die Einsamkeit, die großen Wellen,
die Gischt.
Ich genoss die Einsamkeit da draußen, nur die Natur und ich - allerdings auch nur unter der Voraussetzung, dass mein Rettungsanker,
mein Vater, stets an meiner Seite war, um mir im Notfall zu helfen.
(Was ziemlich oft der Fall war.)
Und ich war jedes Mal überglücklich und wahnsinnig stolz, wenn
ich mit dem Boot wieder in den Hafen zurückgesegelt bin: Ich war
dann immer klitschnass und sah aus wie eine gebadete Ratte, hatte
ein breites Grinsen im Gesicht von einem Ohr zum anderen und meine Hände und Muskeln brannten, weil ich bei dem starken auflandigen Wind die Schot mit all meiner Kraft mal dichtholen und dann
wieder fieren musste, um am Wind zu segeln, während all die anderen
Boote diesen Wind genutzt hatten, um mit weit aufgefierten Schoten
ganz bequem in den Hafen zurückzusegeln.
Das gab mir das Gefühl, dass ich schon ein klein wenig anders wäre
als all die anderen Jungs in meinem Alter, und dass ich, wenn ich mich
nur anstrengte und traute, die Naturgewalten herausfordern und besiegen könnte. Abenteuer waren für mich die selbstverständlichste Sache der Welt, denn sie gaben mir das Gefühl, dass ich lebe. Sie gaben
mir zum ersten Mal das Gefühl, ganz und gar ich selbst zu sein.
Als ich älter wurde und der Rest meiner Welt immer komplexer
und unnatürlicher, suchte ich immer stärker nach jener Identität und
Ganzheit, die ich in meinen Abenteuern erlebte.
Kurz gesagt: Wenn ich total durchnässt, verdreckt und durchgefroren war, fühlte ich mich pudelwohl, wenn ich aber mit den Jungs
zusammen war, von denen jeder verzweifelt versuchte „cool" zu sein,
fühlte ich mich extrem unbehaglich und unsicher. Im schlammigen
Gelände fand ich mich prima zurecht, doch beim Versuch cool zu
sein, scheiterte ich immer kläglich.
Aus diesem Grund konzentrierte ich mich lieber auf Ersteres und
überließ Letzteres den anderen.
(Auch wenn ich als junger Teenager mal kurzzeitig den Versuch
unternommen habe, „cool" zu sein, indem ich mir solche spitzen
„Spinatstecher"-Stiefel gekauft und einen ganzen Winter lang HeavyMetal-Platten gehört habe, so habe ich jedoch beides als äußerst unbefriedigend empfunden und folglich unter dem Punkt „langweilig"
abgehakt.)
Stattdessen habe ich es meistens vorgezogen, in meinen „schlimmsten" (das heißt, meinen besten) und dreckigsten Klamotten herumzulaufen, mich - im Dezember - unter den Gartenschlauch zu stellen,
bis ich klatschnass war, um mich dann ganz allein zu einem Waldlauf
in die Berge aufzumachen.
Die einheimischen Inselbewohner dachten immer, ich wäre nicht
mehr ganz dicht, doch meinem Hund gefiel es und mir auch. Ich
fühlte mich frei und eins mit der Natur und dieses Gefühl zog mich
immer mehr in seinen Bann.
Einmal, als ich von einem solchen Waldlauf - von oben bis unten
mit Schlamm eingesaut - zurückkam, lief ich an einem Mädchen vorbei, das mir ziemlich gut gefiel. Ich fragte mich, ob sie womöglich auf
diesen Schlamm-Lock steht. Er war zumindest originell, dachte ich.
Doch stattdessen überquerte sie sehr zügig die Straße und schaute
mich an, als wäre ich einfach komplett bescheuert.
Ich brauchte eine ganze Weile, bis ich begriff, dass Mädels in aller
Regel nicht auf Typen stehen, die total gammelig daherkommen und
aussehen, als hätten sie sich im Schlamm gesuhlt. Und dass das, was
in meinen Augen natürlich, unverfälscht und ursprünglich war, eben
nicht zwangsläufig gleichbedeutend war mit sexy.
Übrigens: Lernprozess in dieser Angelegenheit noch immer nicht
abgeschlossen.
Ich kann mich noch gut an eine andere Begebenheit erinnern, als mich ein befreundeter Junge, der auf der Isle of
Wight zu Hause war, dazu aufforderte, wir könnten doch einmal versuchen, den Hafen bei Ebbe zu Fuß zu durchqueren.
Da ich
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