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Schlangen im Paradies

Schlangen im Paradies

Titel: Schlangen im Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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vorzuspielen. Der Block füllte sich mit Notizen.
    All diese so taktlos erscheinenden Fragen waren tatsächlich ungemein clever. Elizabeth dachte daran, wie sie mit der Gräfin zusammengesessen und sich gewünscht hatte, die Gespräche an Mins Tisch belauschen zu können. Jetzt konnte sie es. Manches war akustisch unscharf, doch sie konnte genug hören, um Streß, Ausflüchte, Versuche, das Thema zu wechseln, auszumachen.
    Sie begann, ihre Notizen systematisch zu ordnen, legte für jeden am Tisch ein eigenes Blatt an. Auf jeder Seite schrieb sie unten die Fragen hin, die sich ihr dazu stellten. Als sie mit dem ersten Band fertig war, kam ihr das Ganze wie ein heilloser Mischmasch von verwirrenden Sätzen vor.
    Ach, Leila, wie ich dich herbeiwünsche. Du warst zu zynisch, aber in bezug auf Menschen hattest du so oft recht. Du konntest hinter ihre Fassaden sehen. Etwas stimmt nicht, und ich überhö-
    re es. Was ist es nur?
    Sie meinte, Leilas Antwort zu vernehmen, als sei sie tatsächlich anwesend. Um Himmels willen, Spatz, mach doch die Augen auf! Sieh nicht bloß das, was die Leute dich sehen lassen wollen.
    Fang an zuzuhören, eigenständig zu denken. Hab ich dir denn nicht wenigstens das beigebracht?
    Sie wollte gerade die letzte Kassette einlegen, als das Telefon klingelte. Helmut. «Du hast eine Nachricht für mich hinterlassen.»
    «Ja. Warum bist du an dem Abend, an dem sie starb, zu Leilas Apartment gegangen, Helmut?»

    Er rang hörbar nach Luft. «Doch nicht am Telefon, Elizabeth.
    Darf ich jetzt zu dir herüberkommen?»
    Während sie auf ihn wartete, versteckte sie den Recorder nebst Kassetten sowie ihren Notizblock. Das ging Helmut nichts an. Von der Existenz der Tonbänder sollte er nicht einmal etwas ahnen.
    Diesmal hatte ihn seine steife militärische Haltung anscheinend verlassen. Er saß ihr mit herabhängenden Schultern gegen-
    über. Mit leiser, hastiger Stimme und stärkerem Akzent als sonst berichtete er ihr, was er Min zuvor gebeichtet hatte. Er hatte das Stück geschrieben. Er wollte Leila an jenem Abend anflehen, sich die Sache noch einmal zu überlegen.
    «Das Geld hast du von Mins Schweizer Konto genommen?»
    Er nickte. «Minna hat es vermutet. Was hilft’s?»
    «Ist es möglich, daß sie es die ganze Zeit wußte? Daß sie diese Briefe geschickt hat, weil sie Leila damit aus der Fassung bringen und so die Aufführung torpedieren wollte? Niemand kannte Leilas emotionalen Zustand besser als Min.»
    Der Baron machte große Augen. «Aber das ist ja einfach großartig. Es liegt genau auf Mins Linie. Dann hat sie vielleicht die ganze Zeit gewußt, daß kein Geld mehr da war. Ob sie mich wohl einfach bestrafen wollte?»
    Elizabeth kümmerte es nicht, daß man ihr den Abscheu vom Gesicht ablesen konnte. «Ich teile deine Bewunderung für diese Machenschaften keineswegs, falls sie tatsächlich auf Min zu-rückgehen.» Sie holte sich einen neuen Block vom Schreibtisch.
    «Du hast Teds Auseinandersetzung mit Leila gehört?»
    «Ja.»
    «Wo warst du? Wie bist du hineingekommen? Wie lange hast du dich dort aufgehalten? Was genau hast du gehört?»
    Es half ihr, Wort für Wort mitzuschreiben, was er sagte, sich ganz darauf zu konzentrieren. Er hatte Leila um ihr Leben flehen hören und nicht einmal versucht, ihr zu helfen.

    Als er endete, glitzerten Schweißtropfen auf seinen glattra-sierten Wangen. Sie wollte ihn aus den Augen haben, konnte sich jedoch nicht enthalten zu fragen: «Und wenn du nun nicht weggelaufen, sondern statt dessen in die Wohnung gegangen wärst? Leila könnte dann noch am Leben sein. Ted würde sich nicht wegen einer geringeren Haftstrafe schuldig bekennen, wenn du nicht nur daran gedacht hättest, deine eigene Haut zu retten.»
    «Das glaube ich nicht, Elizabeth. Das alles hat sich in Sekunden abgespielt.» Er sah sie aus weitaufgerissenen Augen an.
    «Aber hast du’s denn nicht gehört? Von Schuldbekenntnis kann keine Rede mehr sein. Es war in den Nachrichten. Ein zweiter Augenzeuge hat Ted gesehen, als er Leila über die Terrassenbrüstung hielt, bevor er sie fallen ließ. Der Staatsanwalt plädiert auf lebenslänglich.»
    Leila war nicht bei einem Kampf über die Brüstung gestürzt.
    Er hatte sie darübergehalten, dann absichtlich fallen lassen. Daß Leilas Tod um einige Schrecksekunden verlängert wurde, erschien Elizabeth grausamer als alles, was sie in ihren schlimmsten Angstträumen verfolgt hatte. Ich sollte froh sein, daß sie die Höchststrafe erwägen, sagte sie

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