Schlangenblut (German Edition)
Das wäre ein echtes Medienereignis geworden.«
»Ich arbeite lieber hinter den Kulissen. John Greally, mein Chef, sieht das genauso. Und nachdem die Polizei in die Geschichte verwickelt war, lag es nicht unbedingt im öffentlichen Interesse, das Vertrauen in unsere Ordnungshüter zu unterminieren. Von der Drogenfahndung arbeiten ein paar Typen als verdeckte Ermittler – sie infiltrieren gerade den niederländischen Drogenring und wollten natürlich keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Die Jungs von der Einwanderungs- und Zollbehörde wären zwar gern in die Schlagzeilen gekommen, aber nachdem sie Mist gebaut hatten, haben sie dann doch lieber den Mund gehalten.«
»Der Zoll hat Mist gebaut? Wie das?«
»Es gab elf Mädchen in dem Studio. Meine Agenten haben den Laden dichtgemacht, Beweise gesammelt und die Mädchen der Einwanderungsbehörde übergeben. Als sie aber in der Haftanstalt ankamen, waren es nur noch zehn. Eine von ihnen, Vera Tzasiris, fehlte.«
»Dann haben sie also eine verloren. Aber nach allem, was die durchgemacht haben, kann man es ihr doch nicht verübeln, wenn sie kein Vertrauen mehr in die Behörden hat und sich bei erster Gelegenheit aus dem Staub macht. Und was ist mit den anderen Mädchen geschehen?«
»Wenn sie als Zeugen ausgesagt haben, wird man ihnen hier Asyl anbieten. Bis dahin bleiben sie in Haft.«
Er schüttelte den Kopf. »Ist doch irgendwie unfair. Sie einzusperren, meine ich.«
»Besser als das, was sie erwartet hätte, wenn wir sie nicht da rausgeholt hätten.« Sie zog ein kleines Foto heraus, bevor sie die Akte in ihre verschließbare Schublade zurücklegte. »Trotzdem muss ich immer an dieses verschwundene Mädchen denken, Vera. Ich habe selbst ihre Aussage aufgenommen, bevor wir sie an die Einwanderung überstellten. Ich habe ihr versichert, dass sie das Schlimmste hinter sich hat und nicht mehr in Gefahr ist. Es wäre schön, sie eines Tages zu finden. Zu wissen, dass es ihr gutgeht.«
Sie mied seinen Blick, aber er verstand auch ohne Augenkontakt, was sie meinte, als sie ihm das etwa sieben mal zwölf Zentimeter große Foto zuschob. Es war ein Porträtfoto, wie man es in Kontaktanzeigen findet. Das Mädchen – wohl Anfang zwanzig – hatte dunkles Haar und ein breites Zahnpastalächeln, das ihn an Julia Roberts erinnerte.
Er bewunderte Guardinos Pragmatismus und die Tatsache, dass der nicht ihre Menschlichkeit verdrängte. Und er fühlte sich geehrt durch ihr Vertrauen. Er hatte den Verdacht, dass ihre Art, den Opfern höchste Priorität einzuräumen, nicht immer gut ankam im FBI , wo viele nur darauf bedacht waren, sich selbst in ein gutes Licht zu rücken. »Ich halte die Augen offen und werde sehen, was sich da machen lässt. Inoffiziell natürlich.«
Sie nickte ihm dankend zu. »Ich habe über unsere Kanäle alles getan, was ich tun konnte, aber niemand in der Direktion ist daran interessiert, dass man sie findet – es könnten einfach zu viele Fehler aufgedeckt werden.« Sie schaute durch die Glaswände ihres Büros. Mehrere Männer und Frauen waren um einen mit Computerausrüstung vollgestellten Schreibtisch versammelt. »Was zum Teufel ist denn da los?«
***
Lucy kam gerade noch rechtzeitig aus ihrem Büro, um einen Bürgerkrieg zu verhindern.
Oder genauer gesagt öffentliche Lynchjustiz. Die beweglichen Schreibtische und Workstations in dem großen, offenen Raum waren hufeisenförmig um Taylors Schreibtisch gruppiert, der von Computerzubehör überquoll. Neben Taylor stand Fletcher, der Überwachungstechniker von der Zoll- und Einwanderungsbehörde, und um ihn herum alle übrigen Mitglieder der Sondereinheit für Computerkriminalität.
»Sie können doch nicht die Verbindung zum Writeblocker unterbrechen, während Sie EnCase laufen haben«, ereiferte sich Taylor.
»Außerdem«, belehrte ein weiteres Mitglied der Sondereinheit Fletcher, »arbeiten wir nur auf Image-Basis, also mit Klonen, nicht mit dem Original. Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht?«
Die übrigen Cyber-Krieger äußerten sich ähnlich. Fletcher lief hochrot an und versuchte, mit erhobenen Händen die Angriffe der wütenden Horde abzuwehren.
Lucy trat dazwischen. »Wo liegt denn das Problem, meine Herren?«
Die Umstehenden wichen zurück und ließen sie mit Taylor und Fletcher allein. Taylor warf Fletcher einen bösen Blick zu und schüttelte dann den Kopf. »Es ist nichts, Lieutenant. Ich habe alles unter Kontrolle.«
Sie hatte ihre Zweifel, äußerte diese aber
Weitere Kostenlose Bücher