Schlangenblut (German Edition)
und ging zwischen dem Tisch und ihrem Schreibtisch auf und ab.
»Sie hat das alles genau geplant«, meinte Taylor so eifrig, als wäre vor ihm noch niemand auf die Idee gekommen.
»Aber nicht allein durchgezogen«, fügte Burroughs hinzu. »Ein Mädchen ihrer Größe kann unmöglich allein die Leiche der Kellnerin in dieses Fass gesteckt haben.«
»Also müssen sie zu zweit sein«, folgerte Walden. »Entweder arbeitet Ashley mit jemandem zusammen, oder jemand übt Zwang auf sie aus.«
»In jedem Fall müssten die beiden miteinander kommuniziert haben«, stellte Burroughs fest. »Was haben Sie aus ihrem Handy herausbekommen?«
»Sie hat nur mit diesem Jungen telefoniert, Fegley. Und auch das ist schon mehr als einen Monat her. Die einzigen anderen Anrufe waren von ihrer Mutter.«
»Aber wer hat dann in diesem letzten Monat mit Ashley gesprochen?«, mischte Lucy sich erstmals ein. Sie teilte die Einschätzung der anderen noch immer nicht, wollte aber ihre Gedanken hören, ohne sie mit ihren eigenen Ansichten zu beeinflussen.
Sie tauschten Blicke. »Sie hat vielleicht noch ein zweites Handy«, schlug Walden vor. »Sie könnte sich doch selbst ein Prepaid-Gerät gekauft haben.«
Theorien zu erörtern war wie Schuhe anprobieren, bislang hatten sie alle Lucys Zehen eingequetscht. Bis gerade eben. Waldens Anregung klang plausibel. »Nicht zurückverfolgbar.«
Sie betrachtete die Tafel mit zusammengekniffenen Augen. Sie legte sich nicht gern allzu früh auf eine Theorie fest, aber Ashley war nun bereits seit neunundzwanzig Stunden verschwunden. Der Statistik zufolge war die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie im Entführungsfall innerhalb von weniger als achtundvierzig Stunden tot sein würde. Die meisten starben sogar schon innerhalb von drei Stunden nach einer Entführung, aber daran wollte Lucy nicht denken.
Wie war es möglich, dass auch nach allem, was sie bereits wussten, nichts einen Sinn ergab?
»Was ist mit Tardiff?«, fragte sie.
»Ist in keinem Vorstrafenregister vertreten, war noch nicht einmal angeklagt«, informierte Walden sie. Lucy beugte sich vor, weil sie ein »aber« aus seinem Tonfall heraushörte. »Allerdings gab es mehrere Zivilklagen gegen ihn wegen Verletzung der Aufsichtspflicht bei Minderjährigen. Alle außergerichtlich beigelegt.«
»Aha.« Sie alle wussten, was »außergerichtlich beigelegt« bedeutete: schuldig. Sie ging in den vorderen Teil des Raums, stellte sich vor die Tafel und schrieb Tardiffs Namen darauf. »Dann hätten wir also einen Verdächtigen –«
»Aber soweit wir wissen, war er in letzter Zeit nicht einmal in der Stadt und hatte keinerlei Kontakt zu Ashley«, wandte Taylor ein.
»Dann müssen wir eben überprüfen, wo er sich aufgehalten hat. Ich möchte nicht warten, bis die New Yorker Polizei antwortet.«
Taylor nickte eifrig und setzte wieder sein welpenhaftes Grinsen auf, nun, da er einen neuen Knochen zum Spielen hatte. »Ich kann seine Anrufe mit denen der Mutter abgleichen und überprüfen, ob er ein zweites Handy benutzt. Vielleicht kommen wir ihm auf diese Weise auf die Spur.«
»Tun Sie das. Ich habe es satt, ständig von dem Kerl zu hören, ohne echte Fakten in der Hand zu haben.« Sie drehte sich wieder zur Tafel um und schrieb Ashleys Namen darauf. Darunter fügte sie hinzu: Opfer? Komplizin? Genötigt? Einzeltäterin?
»Ich glaube immer noch, dass sie das mit der Kellnerin nicht allein gemacht haben kann«, meinte Walden, während sie noch schrieb.
»Die Kleine war ziemlich mager«, warf Burroughs ein. Offenbar gefiel ihm noch immer die Vorstellung, dass Ashley die Täterin war.
»Das gilt auch für Ashley«, argumentierte Walden.
Lucy bemühte sich, objektiv zu sein. »Überlegen Sie doch mal, welche Kraft man braucht, um jemanden mit dem Gesicht in einen Topf mit 200 Grad heißem Öl zu halten. Wer so festgehalten wird, kämpft doch mit aller Kraft um sein Leben, und wie lange müsste man diese Person halten – eine Minute oder zwei?« Sie schüttelte den Kopf und strich »Einzeltäterin« aus ihrer Liste. »Das ist unmöglich.« Burroughs wollte schon den Mund aufmachen, um Einwände zu erheben, als sie mit dem Stift auf ihn zeigte. »Außer Ihr Rechtsmediziner sagt was anderes. Gehen Sie doch der Sache mal nach und fragen Sie auch gleich die Kollegen in Monroeville, ob es bei ihnen was Neues gibt. Und wenn Sie schon dabei sind, können Sie auch gleich dem Bürgermeister telefonisch Bericht erstatten.«
Sein Mund schnappte wieder zu.
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