Schlangenblut (German Edition)
Zimmer blieb sie stehen.
Megan schlief, und es schien ihr gutzugehen. Auf ihrem Nachttisch stand ein volles Glas Wasser. Lucy schlich sich hinein, kniete sich neben sie und erfühlte mit der Handfläche die Temperatur an ihrer Wange. Ein bisschen warm vielleicht, aber es war ja auch eine feuchtwarme Nacht. Ihr Atem kam ein wenig kratzend, als sei der Hals nicht ganz frei, klang aber nicht annähernd so schlimm wie das Schnarchen ihres Vaters.
Vielleicht war es ja doch nur eine einfache Erkältung. Oder eine Allergie. Lucy küsste sie auf die Wange, zog ihre Bettdecke zurecht und betrachtete sie.
In Megans Zimmer herrschte das totale Chaos – wie immer, seit sie selbst dafür verantwortlich war. Es war jetzt ihr Reich. Sie hatten abgemacht, dass Megan in ihrem Zimmer tun und lassen konnte, was immer sie wollte, solange sie sich um ihre Wäsche kümmerte, immer saubere Kleidung für die Schule hatte und keine Essensreste oder schmutzige Teller hier oben stehen ließ.
Megans Zimmer war so vollkommen anders als das von Ashley. Die verschiedenen Stoffe und leuchtenden Farben hier passten nicht immer zueinander, in der offenen Schranktür hingen Perlenketten, der ganze Spiegel war mit Fotos vollgeklebt, und die Wand ohne Fenster war eine wilde Collage einzelner Seiten, die Megan aus Zeitungen und Zeitschriften ausgeschnitten hatte – alles Dinge, die »ihr was zu sagen hatten«, wie sie sich ausdrückte. Auf dem Boden häuften sich CD s, Bücher, Zeitschriften und schmutzige Wäsche. Sakrosankt war lediglich das oberste Brett des Bücherregals, auf dem gerahmte Fotos von Familienangehörigen und Freunden sowie Megans Fußball- und Karate-Trophäen standen.
Genau so sollte das Zimmer eines Mädchens aussehen. Voller Leben, voller Hoffnung.
Lucy warf ihrer Tochter noch einen Kuss zu und ging.
Nick schlief im Schlafzimmer am Ende des Flurs. Sie schlich an ihm vorbei ins Bad und schloss die Tür, bevor sie das Licht einschaltete.
Noch immer gingen ihr die Ereignisse des Tages durch den Kopf, und ihr war klar, dass sie trotz ihrer Müdigkeit nur schwer einschlafen würde. Sie duschte kurz, um ein wenig vom Stress des Tages abzuschütteln, und glitt auf ihrer Seite ins Bett.
Nick drehte sich um, legte ihr einen Arm um die Schultern und zog sie an seine Brust. Und er hielt sie fest. Ohne um etwas zu bitten, ohne etwas zu verlangen, war er einfach nur für sie da.
Auch nach so vielen Jahren verblüffte es sie noch immer, wie sehr sie ihn brauchte. Das hier brauchte. Diese stillen Augenblicke, in denen sie sich der Illusion hingeben konnte, dass keine Außenwelt existierte.
Seine Finger glitten durch ihre nassen Haare, während sie dem kräftigen, gleichmäßigen Rhythmus seines Herzschlags lauschte. Schließlich entspannte sich ihr Körper und schmiegte sich an seine vertrauten Konturen.
»Wie war dein Tag?«, fragte sie. »Geht es Megan besser?«
»Sie hatte noch Schmerzen, aber kein Fieber. Ich habe ihr noch Advil gegeben, bevor sie ins Bett verschwunden ist.«
»Gerade eben hat sie einen guten Eindruck gemacht.«
»Vielleicht war es ja nur eine Kleinigkeit. Zu Schulbeginn fangen sich die Kinder alles Mögliche ein.«
»Ja, das hat der Arzt auch gemeint. Du hattest doch heute einen neuen Patienten? Wie ist es denn gelaufen?«
Das Ministerium für Kriegsveteranen hatte in seiner Pittsburgher Niederlassung keine freie Stelle für jemanden mit Nicks Kompetenz, so dass er sich gezwungen gesehen hatte, seine eigene Praxis zu eröffnen. Da er in einer Stadt, in der es vor weltbekannten Psychologen nur so wimmelte, als blutiger Anfänger galt, bot er, um Patienten anzulocken, auch Sprechstunden am Abend und am Wochenende an. Was natürlich ihre häusliche Planung noch mehr erschwerte – ganz zu schweigen von den zusätzlichen Kosten, die mit der Eröffnung der Praxis verbunden waren. Aber er liebte seine Arbeit so sehr, dass Lucy sich mit alldem abfand.
»Gut. Der Typ ist ein Veteran aus dem ersten Golfkrieg. Holtzman hat ihn hergeschickt, nachdem er von der Klinik die Schnauze voll hatte. Ich glaube, ich kann ihm wirklich helfen.«
»Klar kannst du das.« Sie änderte ihre Lage so, dass ihre Köpfe Seite an Seite auf den Kissen lagen. Während ihre Handfläche über seine spärliche Brustbehaarung glitt, schob er seine Finger zwischen ihre.
»Ich habe in den Nachrichten von deinem Fall gehört. Klingt ganz schön schwierig.«
Ihr Seufzen wurde von der Nacht verschluckt. »Allerdings. Dieses Mädchen ist
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