Schlangenblut (German Edition)
vierzehn, lebt in einem Haus mit allem, was man für Geld kaufen kann, und hat Eltern, die behaupten, sie zu lieben – und trotzdem ist sie vollkommen allein. Und ich werde das Gefühl nicht los, dass das schon eine ganze Weile so geht.«
»Du glaubst, sie ist weggelaufen? Zu etwas Besserem?«
»Ja, ich glaube, dass sie weggelaufen ist. Aber zu etwas Schlechterem.« Ihr Blick fiel auf die Ziffern des Weckers. 3.42 Uhr – achtunddreißig Stunden, seit Ashley zum letzten Mal gesehen worden war.
»Wenn jemand sie finden kann, dann du.« Er zog sie wieder an sich.
»Ich wünschte, ich wäre mir da auch so sicher.« Ihre Lider fielen zu, als ihr Atem synchron mit seinem ging.
»Ich bin es.«
Die Dunkelheit verschlang sie, als sie einschlief.
Doch bevor sie ihre Reise beenden konnte, schreckte sie plötzlich hoch. »Ist meine Mutter gut von ihrer Verabredung zurückgekommen?«
Nick war schon so gut wie weg. »Weiß nicht«, murmelte er und schlief weiter.
Lucy beneidete ihn. Dann nahm sie ihr Handy vom Nachttisch und überprüfte es auf eingegangene Nachrichten. Nichts. Ihr Finger schwebte zitternd über den Tasten, bereit, die Kurzwahl ihrer Mutter einzugeben. Aber es war fast vier Uhr morgens, da konnte sie unmöglich anrufen, solange es sich nicht um einen Notfall handelte.
Sie legte das Telefon wieder weg, diesmal auf den äußersten Rand des Nachttischs, um eine oder zwei Millisekunden Reaktionszeit einzusparen. Für den Fall, dass es klingeln sollte.
Sie legte sich wieder aufs Kissen und driftete in den Schlaf. Bilder von Megan, ihrer Mutter, Nick und Ashley jagten ihr durch den Kopf … und von Schlangen. Zischende, beißende, zusammengerollte, angreifende Schlangen, von deren Fangzähnen Blut und Gift tropften.
***
Jimmy war der Hintern eingeschlafen, aber er konnte nicht aufhören zuzusehen. Schon seit Stunden hatte sie sich nicht mehr bewegt, keinen Zentimeter. Hätte nicht das Mikrophon das Geräusch ihres Atems registriert, hätte er geschworen, dass sie tot war.
Sie sah so verloren aus, so allein. Er sehnte sich danach, zu ihr zu gehen, sie zu trösten und ihr zu sagen, dass er für sie da war.
Doch das tat er nicht. Er hielt sich an seinen Plan.
Obwohl er seine Quellen genau überprüft hatte. Die aus Vietnam war am hilfreichsten gewesen: Katatonie. Folge eines inneren Konflikts, wenn der Patient die Bedingungen seiner neuen Realität nicht mit seinen alten Werten vereinen kann. Letztes Stadium, bevor die alten Werte verworfen werden und die neue Realität akzeptiert werden kann, oft verbunden mit Wahnvorstellungen und Halluzinationen.
Morgen, dachte er und streckte seine Finger aus, um ihr Gesicht auf dem Bildschirm zu berühren. Morgen würde er sie zur nächsten Stufe geleiten, sie in ihre neue Welt einführen.
Morgen würde er sie von den Geistern ihrer Vergangenheit erlösen.
KAPITEL 20
Sonntag, 6.08 Uhr
Irgendwann vor Tageseinbruch erwachte Lucy, ruhelos und gereizt und bedürftig. Nick kam ihr sehr gern entgegen, als sie die Hand nach ihm ausstreckte; morgens hatte er am liebsten Sex.
Lucy setzte sich auf ihn, sie brauchte das Gefühl der Kontrolle, und sie liebten sich leise, weil sie noch immer nicht wussten, wie gut sich Geräusche in ihrem knarrenden neuen Haus fortsetzten, und Megans Zimmer nur zwei Türen weiter am Ende des Flurs lag. Seine Hände glitten über sie, beschwörend und führend, aber nie fordernd – nicht bis zum Ende, als seine Hüften nach oben stießen, den ihren entgegen, und das Bett wackelte und stöhnte, als sie beide den Höhepunkt erreichten.
Sie blieb auf ihm sitzen, rollte sich nur zusammen und hielt seine Brust zwischen ihren Armen und Beinen eingeklemmt, als fürchtete sie, jemand könnte ihn ihr wegnehmen. Nick schlief gleich wieder ein, aber sie konnte nicht, im Kopf jagte sie hinter jungen Mädchen und finsteren Dämonen und aalglatten sprechenden Monstern her.
Schließlich schaffte sie es, unter der Bettdecke hervorzukommen und sich für die Arbeit fertigzumachen. Sie füllte ihre Thermoskanne so hoch mit Kaffee, dass auch für Nick noch genug übrig blieb, und taute zwei pappige Brötchen für ihn und Megan auf. Das gab es nur am Sonntag.
Bevor sie das Haus verließ, ging sie noch einmal in Megans Zimmer. Es war noch nicht einmal sieben Uhr. Sie wollte Megan nicht wecken, sondern nur noch rasch einen Blick auf sie werfen, um zu sehen, ob es ihr gutging.
Megan bewegte sich, als Lucy am Rand der Matratze saß, an ihrem Ehering
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