Schlangenblut (German Edition)
und die Szene über die Kamera in ihrer Halskette zu verfolgen.
»Gut.« Mit zittrigen Händen holte sie ihren Ehering hervor, hielt ihn kurz an die Lippen und steckte ihn wieder an seinen Ort. Sie griff nach ihrer Tasche, nahm eine Wasserflasche und trank sie halb leer, so gierig, dass sie sich beinahe daran verschluckt hätte.
»Ihr Handy hat mal wieder verrückt gespielt«, erklärte er mit einer Stimme, aus der Missbilligung sprach.
Mein Gott. Megan. Oder ihre Mutter. Ihre Kehle zog sich wieder zu, und sie spuckte einen Mundvoll Wasser auf den Gehsteig. »Geben Sie es mir.«
Er wühlte hinten im SUV herum und reichte ihr das Telefon. Sie hörte ihre Mailbox ab.
»Mach dir bitte keine Sorgen«, begann Nicks Nachricht, und schon hatte sie ein schreckliches Déjà-vu-Gefühl. »Alles ist bestens. Megan ist während der Messe ohnmächtig geworden und dann mit dem Krankenwagen hierher in die Three-Rivers-Klinik gebracht worden. Der Notarzt ist gerade bei ihr. Es ist alles in Ordnung.«
Krankenwagen? Ohnmächtig? Megan war noch nie in Ohnmacht gefallen. Da war ganz offensichtlich überhaupt nichts in Ordnung.
Sie biss die Zähne so fest aufeinander, dass ihre Kiefermuskeln sich beinahe verkrampften, und gab die Schnellwahl von Nicks Handy ein, doch der meldete sich nicht. Sie setzte an, eine Nachricht zu hinterlassen, schaltete dann aber wieder ab. Sie hatte keine Nachricht – nur Fragen.
Fletcher dachte gar nicht daran, sich dafür zu entschuldigen, dass er mitgehört hatte. Aber Lucy war das egal. »Ich muss sowieso zurück ins Büro, da kann ich Sie im Three Rivers absetzen.«
Sie riss ihm die Wagenschlüssel aus der Hand. »Ich fahre.«
***
An das Gefühl, dass man ihr Eispickel ins Ohr rammte, hatte Lucy sich schon lange gewöhnt. Für jeden problematischen Fall bezahlte sie mit ständigen Schmerzen in Kopf und Nacken.
Nick hatte es mit Hypnose versucht, ihr Zahnarzt mit einer Aufbissschiene (die sie prompt verloren hatte), und sie hatte Schmerztabletten eingeworfen wie M&Ms, aber nichts davon hatte irgendwas gebracht.
Und jetzt drosch ihr anonymer Folterer mit einem Vorschlaghammer auf diese Eispickel ein, und sie hatte das Gefühl, als würden Kesselpauken in ihrem Gehirn widerhallen.
Und zu allem Überfluss redete auch noch Fletcher auf sie ein. In der Hoffnung, die Bilder von Megan verdrängen zu können, wie sie bewusstlos am Boden lag, in den Krankenwagen geschoben wurde oder nach ihrer Mutter rief, während wildfremde Menschen an ihr herumfummelten, riss Lucy den Mund zu einem Gähnen auf, dass das Kiefergelenk knackte, während sie zuließ, dass Fletchers Stimme durch das weiße Rauschen ihres Schmerzes drang.
»Meine Mutter war auch eine Zeitlang im Krankenhaus«, sagte er. »Keine Angst, sie ist wieder gesund, aber was ich sagen wollte, die Ärzte und Schwestern sind heute wirklich gut. Die kümmern sich bestimmt bestens um Ihre Tochter. Wie heißt sie eigentlich?«
»Megan.« Megan mit ihrem sonnenscheinartigen Lächeln, ihren plötzlichen Anfällen beängstigend niveauvollen Humors und ihren Sommersprossen, die genau wie die ihres Vaters aussahen. »Sie ist schon eine Weile krank. Ich hätte sie nicht allein lassen dürfen.« Lucy umklammerte das Lenkrad fester und biss wieder die Kiefer aufeinander.
»Sie hatten eben zu arbeiten«, erklärte er so selbstgerecht, als wiederholte er ein Mantra. »Und wichtige Arbeit noch dazu. Stellen Sie sich doch mal vor, diese Perversen hätten ein echtes Kind in die Finger bekommen! Vier Jahre alt! Ich verstehe einfach nicht, wie jemand an Sex mit einem so kleinen Kind interessiert sein kann.«
»Es ist auch nicht unsere Aufgabe, die Typen zu verstehen.« Sie wechselte die Fahrspur, schnitt eine kleine ältere Dame, die über dem Lenkrad eines Buick hing, und verfluchte die Tatsache, dass ihr Überwachungsfahrzeug weder Blaulicht noch Sirene hatte.
»Aber Sie tun das trotzdem. Die Typen verstehen, meine ich.«
Sie warf Fletcher einen finsteren Blick zu, den der jedoch ignorierte, während er sich vom Beifahrersitz zu ihr umdrehte und an einem kleinen Netbook herumfummelte, das am Zigarettenanzünder angeschlossen war. Er hatte das verdammte Ding überall dabei, aber ihr war erst jetzt aufgefallen, dass es ein Privatcomputer war und kein Gerät seiner Behörde. So wie er ihn in Händen hielt, fragte sich Lucy schon, ob er sich zwischendurch Pornos reinzog. Und hoffte, dass es wenigstens legale waren, denn sie hatte keine Lust, jemanden aus ihrem
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