Schlangenhaus - Thriller
sie vergessen, den Weg ins Dorf zu erwähnen.
Langsam atmen, mich nicht durch flatternde Augenlider verraten. Alles würde gut werden. Nachdem er auf Clives Leichnam gestoßen war, hatte Matt bestimmt per Funk Unterstützung angefordert. Angesichts eines weiteren Mordes würde die Polizei auch zu Fuß anrücken, wenn es sein musste. Doch das hieße, davon auszugehen, dass Matt Clive gefunden hatte. Wenn er nur gesehen hatte, wie Ulfred das Haus verließ und beschlossen hatte, ihm zu folgen, dann war es ihm vielleicht nicht möglich gewesen, Hilfe herbeizurufen. O Gott …
Rose Scott, die Verwaltungsangestellte in der psychiatrischen
Klinik! Bestimmt hatte sie Alarm geschlagen, hatte den Behörden berichtet, dass Ulfred in seinem Heimatdorf aufgetaucht war. So oder so, Hilfe war unterwegs, musste unterwegs sein. Es war nur die Frage, ob sie rechtzeitig bei mir eintreffen würde.
Bewegung in der Kirche. Schritte. Aber Ulfred saß noch immer in der vordersten Kirchenbank. Ehe ich mich ermahnen konnte, still zu liegen, versteifte sich mein Körper.
»Ich habe mir doch fast gedacht, dass Sie wach sind, meine Teure.«
Ulfreds Lippen hatten sich nicht bewegt, doch ich hätte ihn auch nie für den Sprecher gehalten. In der tiefen, gebildeten Stimme, die mich jetzt ansprach, war keine Spur des ländlichen Dorset mehr auszumachen. Archie Witcher, der wie ein echter Südstaatler sprach, war tatsächlich heimgekehrt.
Ich zog die Beine an, stemmte mich heftig ab und kam auf die Knie hoch. Der Mann, der vor mir stand, war gut über eins achtzig groß.
Archie sah genauso gut aus, wie sie ihn alle beschrieben hatten; sehr viel besser, als ich von dem Foto her erwartet hatte. Er hatte ein Gesicht, das früher beinahe schön gewesen sein musste, so vollkommen waren seine Züge und Proportionen. Die helle Haut hatte Falten, wie bei einem Mann von über siebzig nicht anders zu erwarten, doch es blieb ein faszinierendes, unwiderstehliches Gesicht, besonders die Augen – ein sanftes, helles Türkis, von schwarzen Wimpern umrahmt. Und nachdem er das Vermögen seines Neffen geerbt hatte, würden die Jahre, die ihm noch blieben, in der Tat angenehm werden.
Ich konnte in dem Moment nicht anders. Ich verspürte einen ganz schwachen Stich der Enttäuschung. War es bei dem Ganzen schließlich doch nur um Geld gegangen? War Archie heimgekehrt, auf der Flucht vor einem Skandal und vor möglicher Strafverfolgung in den USA, nur um nach dem gewaltigen Reichtum zu gieren, der ihm zufallen könnte, wenn sein Neffe vor ihm starb?
»Es tut mir leid, dass Sie die Unannehmlichkeit ertragen mussten, an einen anderen Ort verbracht zu werden, Miss Clara«, sagte Archie. Er schien aus großer Höhe zu mir zu sprechen. »Ich habe Wasser, wenn Sie einen Schluck trinken wollen.«
Ich nickte und schaffte es, ihm ein »Ja, bitte« entgegenzukrächzen. Ich musste unbedingt Zeit schinden. Flucht war unmöglich, aber die Helfer waren unterwegs. Ich musste ihnen nur Zeit verschaffen.
Archie drehte sich um und ging fort, und ich musste an die Dorfversammlung in Clive Ventrys Haus denken, vor genau einer Woche, als ich einen hochgewachsenen, dunkel gekleideten Mann im Obergeschoss hatte verschwinden sehen. Rose Scott hatte mir erzählt, dass Ulfred Besuch von einem vornehm aussehenden Mann bekommen hatte, einem Mann mit einem Akzent. Ich war davon ausgegangen, dass es sich um Clive gehandelt hatte; es konnte genauso gut Archie gewesen sein.
Als Archie aus meinem Blickfeld verschwand, fragte ich mich, wessen Hand wohl den Schlag geführt hatte, der Clives Leben ein Ende gemacht hatte. Ulfred, der noch immer geistesabwesend die Schlange streichelte, sah einfach nur aus wie ein trauriger, ein wenig verwirrter alter Mann. Sicher, er war in mein Haus eingebrochen und hatte mich zu Tode erschreckt, aber …
Zurückkehrende Schritte.
Ulfred hatte mir in jener Nacht eigentlich nichts getan. Etwas später hatte er abermals Gelegenheit dazu gehabt, in der Kalkmine. Ich hatte keinen Meter von ihm entfernt gestanden, ihn atmen gehört, doch er hatte mich laufen lassen. Hatte Ulfred wirklich vier Menschen umgebracht? Oder hatte sein Cousin Archie ihn benutzt, hatte ihm geholfen, aus der Klinik zu fliehen, ihn in dem alten Haus der Familie versteckt, ihm Essen gebracht, und Gas für die Brenner? War Ulfreds Anwesenheit im Dorf nichts anderes als ein Ablenkungsmanöver?
Hatte Archie sich sogar die Zwischenfälle mit den Schlangen ausgedacht, weil diese, mehr als alles
Weitere Kostenlose Bücher