Schlangenhaus - Thriller
Violet.
»Ja.« Ich hatte genau denselben Zeitungsausschnitt vor mir, den ich gestern Abend im Haus der Witchers gesehen hatte. Wieder ging ich die Liste mit den Namen durch und sah Jim Buckler, Violets Ehemann, obwohl sie noch nicht verheiratet gewesen waren, als das Foto gemacht worden war. Der hochgewachsene, eckige Bursche in der hinteren Reihe sah sehr jung aus. Und ich dachte bei mir, dass er vielleicht leuchtend rotblondes Haar und Sommersprossen gehabt haben mochte, obwohl man das nur schwer genau erkennen konnte. Sally tat inzwischen das, was ich gestern Abend getan hatte, sie ordnete die Namen der Witcher-Brüder den Gesichtern zu.
»Keine Spur von Ulfred«, murmelte sie. »Archie sah richtig gut aus, nicht wahr? Erinnert mich an irgendjemanden. Ich komm nicht drauf … Hatte er Familie?«
»Ich glaube, er ist ausgewandert. Wer waren denn die Frauen?«, fragte ich und sah Violet an.
»Meine Freundin Ruby und ich«, antwortete sie. »Und Edeline. Obwohl Edeline beim Tee nie besonders viel geholfen hat. Ist immer nur mitgekommen, um mit den Männern zu schwatzen.«
Wenn man die drei Frauen betrachtete, war es offensichtlich, wer jede von ihnen war. Violet war als junge Frau klein und schlank gewesen; und hübsch, auf eine ruhige, stille Art. Ihre Freundin Ruby war fülliger und weniger reizvoll gewesen, doch Edeline hatte beide mit Leichtigkeit in den Schatten gestellt. Sie war gute zehn Zentimeter größer als die beiden anderen und trug enge wadenlange Hosen; außerdem hatte sie die Sanduhrfigur eines Filmstars der 50er, und ihre knappe, tief ausgeschnittene Bluse ließ der Fantasie nur sehr wenig Spielraum.
»War Ruby die Freundin, die an dem Abend in der Kirche war, als sie abgebrannt ist?«, fragte ich aufs Geratewohl. Violets Gesicht zeigte wieder jenen Ausdruck der Erregung.
»Darüber weiß ich nicht viel«, sagte sie. »Mein Dad wollte
nicht, dass ich in diese Kirche gehe, nicht nachdem der neue Prediger gekommen war. Aber ein paar Sachen habe ich von Ruby gehört. Und von Jim. Er ist da eine Weile hingegangen. Bis …«
»Bis zu dem Brand?«, riet ich. Violet nickte.
»Was denn für ein Brand?«, wollte Sally zu meinem Ärger wissen.
»Ich war nicht dabei«, beteuerte Violet. Sie sah sehr aufgeregt aus.
»Ich weiß, ich weiß, das haben Sie mir erzählt. Sie kannten also Ulfred? Inwiefern war er gestört?«
Violet schwieg eine Minute, die sich hinzog und zu zweien wurde. Gerade wollte ich aufgeben, als sie sich im Zimmer umsah, als könnte jemand hereingekommen sein, ungesehen und ungehört. Ich kämpfte gegen den Drang an, es ihr gleichzutun. Dann …
»Sie haben gesagt, er wäre besessen«, flüsterte sie.
Sally lachte leise auf und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. Ich dagegen spürte, wie sich etwas Kaltes gegen meinen Nacken schmiegte.
»Von Dämonen?«, fragte ich. Violet nickte.
»Ach, kommen Sie schon, Clara«, protestierte Sally. Ich hob die Hand.
»In der katholischen Kirche gibt es an die zweihundert praktizierende Exorzisten«, wandte ich rasch ein. »Sogar die Anglikaner haben Leute, die in so was ausgebildet sind.« Ich sah Violet an. »Ich glaube nicht an Dämonen«, sagte ich wahrheitsgemäß. »Und Sie bestimmt auch nicht«, fügte ich hinzu, denn es gefiel mir gar nicht, wie verängstigt Violet aussah. »Aber ich weiß, dass es Menschen gibt, die das tun. Und vor fünfzig Jahren waren die Leute sehr viel abergläubischer. Stimmt’s?«
Ohne auf Sally zu achten, beugte Violet sich zu mir herüber. »Es hieß, der Dämon wär’s gewesen, der ihn so gemacht hat, wie er war.«
»Dass er nicht sprechen konnte?«
»Oh, nicht nur das. Es gab Zeiten, da … da ist er einfach wild geworden. Wir haben ihn schreien gehört, brüllen. Aber nie Worte. Nur diese grässlichen Geräusche. Und er hat Sachen durch die Gegend geworfen, Sachen zertrümmert. Ist einfach verrückt geworden.«
»Und wer hat sich um ihn gekümmert? Wenn er so war?«, erkundigte sich Sally, die noch immer skeptisch aussah.
»Walter oder die anderen Brüder«, antwortete Violet. Sie schaute auf ihren Schoß hinunter, dann blickte sie wieder auf, sah mir jedoch nicht in die Augen. »Wir sind immer zu dem Haus hinuntergegangen, wenn das passiert ist«, sagte sie. »Sogar am Ende des Gartens konnte man ihn hören. Ich weiß, wir hätten das nicht tun sollen. Aber wir waren jung. Wir haben nicht nachgedacht.«
»Ich verstehe«, beschwichtigte ich.
»Und danach, da haben Walter oder die anderen immer
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