Schlangenkopf
dem dunklen Lodenmantel mit der zusammengerollten Zeitung in der Hand.
M it einigem Glück hat Barbara einen Parkplatz in der Nähe der Volksbühne gefunden, muss aber doch ein Stück zurückgehen, bis sie die Kneipe zur Alten Schönhauser Landstraße vor sich sieht. Es ist eine der Kneipen, vermutet sie beim Näherkommen, die man in jenen Jahren herausgeputzt hat, als das Alt-Berlinische gerade mal Mode war. Sie überquert die Straße und tritt ein, tatsächlich ist das Lokal innen dekoriert wie ein Abziehbild aus Zille sein Milljöh. Immerhin scheinen die Gäste halbwegs authentisch, es sind zumeist junge Leute, das freut Barbara, auch und gerade deshalb, weil sie selbst nicht mehr so sehr jung ist. Doch sieht sie auf den ersten Blick niemand, der Uwe sein könnte, und geht zur Theke und fragt einen Mann in grüner Kellnerschürze nach ihm.
»Ach, Sie sind das! Die Frau mit dem Landrover, nicht wahr?«, antwortet er und weist auf einen einzelnen, etwas abseits sitzenden Mann, »da drüben sitzt er!«
Uwe ist ein dünner schlaksiger Mensch, ziemlich groß, wie sich herausstellt, als er von seinem Tisch aufsteht, um Barbara zu begrüßen, und hat ein von der Natur oder vom Bier gerötetes knubbeliges Gesicht und einen wirren roten Haarschopf.
»Sie sind das aber nicht«, sagt er zur Begrüßung und setzt sich wieder.
»Nein«, antwortet Barbara und nimmt Platz, »ich bin es nicht, und ich bin froh, dass Sie das erkennen.«
Uwe legt den Kopf ein wenig schief. »Halten Sie mich für sehbehindert?«
»Keineswegs«, sagt Barbara und bestellt beim Kellner einen Kaffee, »aber es wird ja nicht sehr hell gewesen sein, als Sie die Frau gesehen haben, die Frau in dem Landrover.«
»Nun ja, es war Nacht«, räumt Uwe ein. »Aber was wollen Sie eigentlich von ihr? Hat die Ihnen …« – er wirft einen Blick auf ihre Hand, die keinen Ehering trägt – »den Freund ausgespannt? Oder die Freundin?«
Barbara beschließt, das Tempo anzuziehen. »Nein, sie hat mir weder Freund noch Freundin ausgespannt. Sie hat einen jungen Mann totgefahren. Vorsätzlich.«
Uwe blickt auf, und über sein Gesicht hat sich ein Schatten von Misstrauen gelegt. »Was ist das für eine Geschichte? Sind Sie von der Bullerei? Dann können Sie gleich wieder …«
»Ich bin nicht von der Polizei«, unterbricht ihn Barbara sanft, aber nachdrücklich.
»Und warum mischen Sie sich dann in eine solche Sache?« Das Misstrauen auf seinem Gesicht wechselt zu Argwohn. »Haben Sie womöglich was mit dem toten Jungen zu tun? Trauer tragen Sie ja nicht.«
»Der junge Mann, der umgebracht wurde, war ein Türke«, antwortet Barbara. »Ich habe nichts mit ihm zu tun. Ich will nur diese Frau finden.«
Auf Uwes Gesicht spiegelt sich jetzt kein Argwohn mehr, sondern Ablehnung. »Mit Türken hab ich nichts am Hut.«
»Darauf kommt es nicht mehr an«, fährt Barbara mit sanfter Stimme fort. »Für Sie jedenfalls nicht mehr. Sie haben bei Radio Fünf Neunundsechzig angerufen, dann bei mir, Sie haben sich mit mir getroffen – es ist jetzt nun einmal in der Welt, dass Sie die Frau in dem Landrover gesehen haben. Dass Sie so viel von ihr gesehen haben, um zu wissen, dass ich es zum Beispiel nicht bin. Glauben Sie, dass es der Frau in dem Landrover angenehm ist, dass man sie gesehen hat?«
»Auf was wollen Sie hinaus?«
»Dass Sie nicht mehr zurückkönnen, Uwe«, antwortet Barbara. »Dass Sie mit mir zur Polizei gehen müssen, und zwar in Ihrem eigenen Interesse …«
A m Alexanderplatz zwängt sich der dicke Mann in einen vollbesetzten Wagen der nächsten S-Bahn Richtung Friedrichstraße, in seinem Kielwasser der Junge. Berndorf nimmt den Einstieg eine Tür weiter und kommt mit Glück gerade noch hinein, ist jetzt aber so von anderen Passanten umgeben, dass er die beiden nicht mehr im Blickfeld hat.
An der Station Friedrichstraße tritt er erst einmal auf den Bahnsteig hinaus, um andere Passagiere hinauszulassen, und steigt erst wieder ein, als er sieht, dass weder André noch der Dicke den Zug verlassen haben. Das wiederholt er am Hauptbahnhof, doch diesmal steigen auch die beiden aus, Berndorf folgt ihnen, wieder mit einigem Abstand, es geht eine Rolltreppe hinab und eine wieder hinauf, so dass sie vom Bahnsteig der S-Bahn zu dem der Fernzüge gelangen. Argwohn steigt in Berndorf auf: Keiner der beiden hat Gepäck bei sich – wollen sie jemanden abholen? Womöglich die Mutter des Jungen? Vorauseilend überflutet ihn eine Welle von Scham.
Am Bahnsteig
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