Schlangenkopf
Wagengliedern, möchte man sie für einen über die Gleise kriechenden und klappernden Tatzelwurm halten, aber doch kommt sie immer näher und ist auch gleich schon da.
André löst sich von der Sitzbank und drängt sich im Slalom an den anderen wartenden Fahrgästen vorbei zu diesem Menschen, den man zum Glück gar nicht verfehlen kann. Die S-Bahn bremst ab, jetzt ist André nur noch zwei oder drei Schritte von Matthaus entfernt, die Türen der Bahn öffnen sich, André hebt die Hand, um Matthaus anzutippen, da packt ihn eine hart zugreifende Hand am Oberarm und hält ihn fest, jemand beugt sich zu ihm und sagt ihm ins Ohr:
»Lass den Unsinn, Junge! Hier wimmelt es von Bullen.«
Die Hand lässt sich nicht abschütteln und schiebt André in die S-Bahn, noch immer sträubt er sich, die Zugtüren schließen, klappernd setzt sich die S-Bahn in Bewegung, und das Letzte, was André auf dem Bahnsteig sieht, ist dieser große Mann, der mit ratlosem Blick eine schwarze Mappe in der Hand hält.
U we hat dann doch noch seine Aussage machen können, hat sie auch unterschrieben, die Polizei weiß jetzt, dass kurz vor dem Unfall in der Kleinen Rosenthaler Straße eine Frau – etwa 35 Jahre alt, mit einer Pagenfrisur – in einem schwarzen Landrover dort gewartet hat. Danach hat Barbara ihn zurück in seine Kneipe gebracht und ihm einen Fünfziger in die Hand gedrückt, mehr werden Berndorfs Spesen nicht hergeben, auch wenn Uwe nicht so recht zufrieden schien.
Aber alles in allem ist es nicht schlecht gelaufen, denkt Barbara, während sie zurück nach Dahlem fährt. Warum ist sie dann nicht zufrieden?
Das brauchst du dich gar nicht zu fragen. Du weißt es. Du musst diese Leute nicht vorführen. Gehst du mit deinen Studenten auch so um? Manchmal schon. Manchmal muss es sein. Aber bei dieser Polizistenmaus und diesem apoplektischen Dienststellenleiter hat es nicht sein müssen … Wie redest du eigentlich schon wieder von diesen Leuten? Polizistenmaus! Wenn Berndorf das sagen würde – du würdest es ihm um die Ohren hauen.
Es ist Samstagmittag, wieso ist so viel Verkehr auf den Straßen? Sie schaltet das Radio ein und erwischt tatsächlich die Verkehrsmeldungen, die Parkplätze beim Olympiastadion sind bereits besetzt, Hertha spielt gegen Duisburg, es ist das Schicksalsspiel um den Aufstieg, sagt der Sprecher, und Barbara greift nach der Radiotaste, um den nächsten Sender einzustellen, Schicksalsspiel! Aber dann kommen doch noch Nachrichten, was heißt Nachrichten! Die Bundeskanzlerin erklärt, dass die Regierung an ihrem Kurs festhalten wird – an welchem?, fragt sich Barbara, für die Opposition kündigt ein Mensch namens Holtzenpflug entschlossenen Widerstand an, der Stimme ist anzuhören, wie dieser Mensch sich am Rednerpult festhält, um so richtig entschlossen zu klingen, der Wirtschaftsminister verspricht weitere wirtschaftliche Erholung, wenn nur erst die Wirtschaft aus den Fesseln eines überzogenen Umweltschutzes befreit wird, und die fünf Wirtschaftsweisen fordern eine Lockerung des Kündigungsschutzes … Warum, überlegt Barbara, fordert in diesem Land niemand die Lockerung des Kündigungsschutzes für Wirtschaftsweise? Plötzlich horcht sie auf, denn der Sprecher im Radio hat eine wichtige Nachricht:
… zu einer dramatischen Geiselnahme ist es heute im Rostocker Polizeipräsidium gekommen. Einer Untersuchungsgefangenen gelang es, sich der Dienstwaffe eines Vernehmungsbeamten zu bemächtigen. Mit vorgehaltener Waffe zwang die Frau den Beamten und einen von dessen Kollegen, mit ihr zu deren Dienstwagen zu gehen und wegzufahren. In einer Tiefgarage mussten die Beamten sich mit den eigenen Handschellen an die Heizungsrohre einer Toilette fesseln. Die Frau entkam zu Fuß …
Die Ampel vor der Kreuzung, auf die Barbara zufährt, steht auf Rot, erst im letzten Moment tritt sie auf das Bremspedal und bringt das Auto gerade noch zum Halten.
Olga!, schießt es ihr durch den Kopf.
N atürlich hat sich die Hoffnung, das Große Portugiesische Hausputzmassaker sei bei ihrer Rückkehr schon überstanden, nicht erfüllt. Als Barbara in die Wohnung kommt, ist Manuela gerade dabei, die Vorhänge aus der Waschmaschine zu holen, und so müssen die Vorhangrollen wieder eingehängt und danach in die Laufschienen der Gardinenstange eingefädelt werden, das ist eine Arbeit, bei der man seine Arme und seine Schultern spürt wie sonst bei keiner Gelegenheit. Wäre das nicht etwas für einen Mann, wenn frau denn schon einen im
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