Schlangenkopf
sind übrigens besser gekleidet als die der Berliner, deutlich besser sogar, und kaum einen sieht er hier, der so aussieht, als müsste er von Hartz IV leben.
Das ist, denkt er, schon der zweite auffällige Unterschied zu Berlin. Der erste war ihm beim Anblick der Rechnung des Dalmacija Grill aufgefallen: Kein jugoslawisches Restaurant in Berlin würde oder könnte solche Preise verlangen.
Aber das alles ist nicht das, was ihn wirklich beschäftigt. In dem Wagen sitzt niemand, von dem er annehmen müsste, dass er ihm gefolgt sei. Jedenfalls kann er keinen entdecken, der von Rechts wegen einen Schlapphut tragen müsste. Aber was heißt das schon? Schon die beiden Männer im Dalmacija Grill hatten nicht zu dieser Fraktion gehört, ihnen fehlten diese pensionsberechtigten seelischen Schuhsohlen. Wer also waren sie? Plötzlich fällt sein Blick auf einen jungen Mann, südländischer, nein: italienischer Typus, kurzes schwarzes Haar, schwarzes Hemd, schwarze Lederjacke, Goldkettchen um den Hals, die flinken Augen auf die Decke gerichtet oder, zur Abwechslung, auf die eine einzige jüngere Frau unter den Fahrgästen.
»Nächster Halt Zeilweg«, kommt es aus den Lautsprechern, Berndorf steht auf und hält sich fest, als die U-Bahn abgebremst wird. Die Tür schwingt auf, Berndorf steigt aus, bleibt aber kurz stehen, der Goldkettchen-Mann hat den nächsten Ausstieg genommen und geht jetzt zur Unterführung, die Wagentür beginnt sich zu schließen, und Berndorf zwängt sich gerade noch hindurch, zurück in den Wagen. Er bleibt an der Tür und sieht zu, wie der Goldkettchen-Mann an der Treppe zur Unterführung verdutzt innehält und der U-Bahn nachschaut mit einem Gesichtsausdruck, in den sich Verblüffung mischt und Empörung.
Zwei Stationen weiter wird die Nordweststadt angesagt, nun steigt Berndorf wirklich aus, mit ihm einige andere Fahrgäste, auch die eine junge Frau, die so jung nun auch wieder nicht ist, wie er bemerkt, als er auf dem Bahnsteig kurz stehen bleibt und sich zu orientieren versucht: Kostüm, flache sportliche Halbschuhe, Ledertasche, Pagenfrisur. Sie geht zur Treppe und steigt sie hinauf, die Rolltreppe daneben ist außer Betrieb.
Dies ist nicht einfach eine Haltestelle, sondern dies ist ein Bahnhof, überbaut, mit allerhand Aufgängen, und es ist auch nicht einfach ein Bahnhof, sondern zugleich ein Einkaufszentrum, über allem türmt sich ein Hochhaus – ein Traum aus den Sechziger Jahren, mit Beton und Klinkersteinen ins Werk gesetzt und später postmodern aufgehübscht. An einem Kiosk, der noch geöffnet hat, sieht er die Frau mit der Pagenfrisur, das wundert ihn, sie sah ihm nicht danach aus, als müsste sie sich für den Abend noch rasch mit einer Flasche Schnaps oder mit Zigaretten eindecken. Was er sich da alles denkt – ist das schon Verfolgungswahn?
Nun ja, er sollte jetzt keine Zeit mehr verlieren. Er hofft, dass er den richtigen Ausgang gefunden hat, kommt auf eine Straße und geht sie hinab, falls er sich nicht täuscht, folgt ihm niemand. Es ist dunkel geworden, hoch über den Straßenlaternen hasten eilige Wolken am halben Mond vorbei, andere verdecken ihn gleich wieder. An der Einmündung einer Seitenstraße biegt er ab, die Häuser mit den kleinen Vorgärten sehen weder nach der Römerzeit aus noch nach Klein Paris, sondern vielmehr nach dem Wohnungsbau der frühen Nachkriegszeit, aber das Straßenschild lässt keinen Zweifel: Dies ist, ganz richtig, die Trajanstraße.
Aus einem der Häuser stürzt ein weißer Spitz und kläfft und hört nicht auf damit und lässt es nicht gelten, dass man ihn einen braven Hund nennt. Berndorf wundert sich, er hat schon lange keinen weißen Spitz mehr gesehen, und dann steht er auch schon vor dem Haus mit der richtigen Nummer. Es ist dunkel, die Jalousien sind heruntergelassen, aus den Ritzen des einen Fensters fällt etwas Licht nach draußen.
Berndorf sieht sich noch einmal um, die Straße ist beleuchtet, aber zwischen dem Gebüsch der Vorgärten oder hinter den geparkten Autos gibt es genug Deckung. Er zuckt die Schultern und geht durch den Vorgarten zur Haustür und klingelt.
Es rührt sich nichts. Nebenan hält der Spitz im Kläffen inne, offenbar wartet er darauf, was sich an der Haustür tun wird.
Er klingelt noch einmal. Plötzlich merkt er, dass innen im Haus jemand an der Tür stehen muss.
Er legt seinen Kopf an den Türspalt und sagt – nicht zu laut, aber sorgfältig artikulierend – seinen Namen. »Ich möchte die Schlüssel
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