Schlangenlinien
Constable Quentin über die Art der Verletzungen sagte – aber für dich war das alles nur Quatsch. Wenn ich mich recht erinnere, beschränkte sich dein Kommentar auf die Frage, seit wann eine neurotische Ziege und ein frustrierter Bulle auch nur die geringste Ahnung von Pathologie hätten. Damals hättest du mir die Wahrheit sagen und mir und Andrew Quentin gegen Drury den Rücken stärken können – aber du hast es nicht getan.«
Er senkte den Kopf in seine Hände. »Ich dachte, du täuschst dich«, murmelte er. »Ich stand damals ziemlich unter Druck, und du hast es mir nicht leicht gemacht.«
»Gut. Dann hast du dir nichts vorzuwerfen. Du hast mich vor mir selbst gerettet. Das kann dir niemand verübeln.« Ich sah ungeduldig auf meine Uhr. »Können wir jetzt fahren? Ich hab Hunger.«
»Warum machst du es mir so schwer?«, fragte er. »Du musst doch wissen, wie mies ich mich fühle.«
»Nein, das weiß ich nicht«, gab ich zurück. »Du hast dich nie zuvor mies gefühlt. Die Sache damals war weiter nichts als eine dieser kleinen Unannehmlichkeiten, die du so erfolgreich aus deinem Gedächtnis zu streichen pflegst. Etwa so wichtig wie die Frage, in welcher Schublade das Besteck liegt oder wie man ein hartes Ei kocht. Ich habe dich um diese Fähigkeit immer beneidet, und wenn du dich jetzt nicht mehr wohl in deiner Haut fühlst, dann ist das wahrscheinlich nur eine Reaktion darauf, dass du durchschaut worden bist. Das geht vorüber.«
Er versuchte es mit einer anderen Taktik. »Die Jungs sind ganz schön aus dem Häuschen«, erklärte er. »Sie fragen mich immer wieder, was ich denn so Schlimmes getan hab, dass du abhauen musst.«
»Also wirklich«, rief ich. »Wenn du mich wütend machen willst, dann erreichst du das am sichersten damit, dass du dich hinter deinen Kindern versteckst. Luke und Tom wissen sehr wohl, dass ich niemals vor etwas davonlaufe. Und genauso gut wissen sie, dass ich sie nicht einfach im Stich lassen würde. Und sowieso hab ich ihnen gesagt, dass ich erst spät nach Hause kommen würde. Ich vermute, sie liegen wie immer vor dem Fernseher und fragen sich, wieso ihr Vater plötzlich durchdreht.«
»Wir hatten Krach«, bekannte er. »Ich hab ihnen gesagt, sie wären gefühllose Kerle.«
Ich sagte nichts dazu, ich war nicht in Stimmung, seine gekränkte Eitelkeit wieder aufzupäppeln. »Hör mal«, sagte ich und tippte dabei auf meine Uhr, »ich hab den ganzen Tag nichts gegessen und hab einen Bärenhunger. Können wir jetzt entweder nach Hause fahren oder irgendwo unterwegs anhalten und was mitnehmen? Habt ihr schon was gegessen, du und die Jungs?«
»Tom hat für sich und Luke Spaghetti gemacht, aber ich hatte keinen Hunger.«
»Gut, dann nehmen wir uns ein Curry mit.«
»Warum hast du nicht im Zug was gegessen?«
»Weil es keinen Speisewagen gab«, antwortete ich unwirsch, »und als der Wagen bei mir vorbeikam, war nur ein Päckchen Kekse übrig. Ich hab mich mit einem Glas Wein getröstet, und jetzt bin ich stocksauer und hab überhaupt keine Lust, mit dir oder sonst jemandem blöde Spielchen zu machen.«
»Das kann ich verstehen«, begann er in wehleidigem Ton, während er den Motor anließ. »Ich wollte, ich könnte irgendetwas tun oder sagen ...«
»Glaub jetzt bloß nicht, du kannst etwas wieder gutmachen«, fiel ich ihm ins Wort. »Meinetwegen kannst du dir bis an dein Lebensende an die Brust schlagen und
mea culpa
rufen – bei mir wirst du damit gar nichts erreichen. Aber bei Jock wirst du was erreichen. Je bekümmerter du bist, desto glücklicher wird er sein, und ihr werdet im Handumdrehen wieder die besten Freunde sein.«
Er ließ sich das schweigend durch den Kopf gehen. »Ich hab mich schon bei Jock entschuldigt«, sagte er, als er den Wagen auf die Hauptstraße lenkte.
»Das dachte ich mir.«
»Er hat sich ziemlich schnell beruhigt... nachdem ich ihm erklärt hatte, was für ein fürchterlicher Fehler das Ganze war.«
»Na also, ist doch wunderbar.«
»Es war überhaupt nichts Ernsthaftes, verstehst du – es ist eben passiert, während du weg warst, weiter nichts. Der Haken war nur, dass Libby die Sache ernster nahm als ich – sie und Jock waren damals nicht gerade ein Herz und eine Seele –, und da ist es irgendwie außer Kontrolle geraten.« Er hielt inne, wie um mich aufzufordern, etwas dazu zu sagen. Als ich schwieg, fuhr er zu sprechen fort. »Jock versteht das. Er hat so was am eigenen Leib erfahren – er weiß, wie das ist, wenn man so richtig in
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