Schlangenlinien
Heimweh nach England – und das sei einzig meine Schuld. Welcher Teufel mich geritten hätte, bei der Polizei von Mord zu reden? Er könne jetzt nicht mehr zurück – zumal der arme alte Jock bis zum Hals in der Klemme sitze. Die halbe Straße hätte diese dusselige Person doch herumstolpern sehen, voll bis unter die Mütze. Er habe nichts weiter getan, als diese Aussagen zu bestätigen...
Ich konnte Drury förmlich ansehen, wie es in seinem Hirn arbeitete.
»Sie sagten schon, Ihr Mann hätte gelogen, als ich Ihnen das Protokoll seiner Aussage vorlas. Woher wussten Sie das, wenn er es Ihnen erst ein halbes Jahr später gestanden hat?«
»Es waren keine Bierdosen im Müll«, sagte ich.
Danny trank einen Schluck von seinem Radley's Lager und musterte Sam über den Tisch hinweg argwöhnisch, während er sich den Schaum von den Lippen wischte. »Wieso haben Sie Drury nicht wiedererkannt, als Ihre Frau neulich mit Ihnen hierher gefahren ist?«, fragte er scharf. »Ich hab ihn seit Jahren nicht mehr gesehen, aber ich hab ihn auf Anhieb wiedererkannt. Er hat sich ja kaum verändert.«
Sam ging sofort in Verteidigungsstellung. »Ich bin ihm überhaupt nur zweimal begegnet. Und soweit ich mich erinnere, hat mich das, was er zu sagen hatte, mehr interessiert als sein Aussehen.«
»Sam hat kein gutes Gedächtnis für Gesichter«, warf ich ein, um Sam Hilfestellung zu geben.
Danny beachtete mich gar nicht. »Und als Sie Ihre Aussage zu Protokoll gegeben haben? Da muss er Sie doch vorher vernommen haben! Haben Sie ihn sich da nicht genauer angeschaut?«
»Ich habe meine Aussage nicht vor Drury gemacht, und ich bin nie vernommen worden. Irgendein Constable hat mich ganz einfach gebeten aufzuschreiben, wo ich zur fraglichen Zeit war und was ich getan hatte.«
Er hob kurz den Blick, um mich anzusehen. »Mit dieser schriftlichen Aussage war der Fall für mich erledigt. Ich brauchte nicht einmal zu der Verhandlung zu kommen.«
Danny fand das offensichtlich unbefriedigend. »Kann ja sein, aber man haut doch nicht einfach ab, wenn die eigene Familie Ärger hat«, sagte er. »Sie hätten darauf bestehen müssen, bei der Vernehmung Ihrer Frau dabei zu sein, Mann! Nie im Leben hätte ich meine Frau diesem Drury und seinen Methoden allein ausgeliefert.«
Sam nahm sein Glas in beide Hände, machte aber keinerlei Anstalten, daraus zu trinken. »Ich glaube, Sie verwechseln hier etwas«, sagte er. »Meine Frau war nicht die Angeklagte, sie war gewissermaßen die Klägerin.«
»Und mit Recht! Diese Schwarze schaut ja aus, als wär sie zu Tode geprügelt worden. Außerdem spielt das überhaupt keine Rolle. Ihre Frau gehört zu Ihnen. Sie hätten für sie da sein müssen. So läuft das nämlich.«
Sam vergrub sein Gesicht in den Händen, und ich durfte mich von seinem Schmerz nicht erweichen lassen, denn es gab nichts daran zu rütteln, dass mein Mann Teil des Problems war – nicht Teil der Lösung...
»So einfach war das damals nicht«, murmelte er unglücklich.
»Aber klar!«, widersprach Danny verächtlich. »Glauben Sie mir. Ich kenn mich da aus. Familien halten zusammen – Ratten verlassen das sinkende Schiff.«
* * *
Brief von Dannys Mutter, Maureen Slater, aus dem Jahr 1999
Graham Road 32
Richmond
2. August 1999
Liebe Mrs. Ranelagh,
ich bin nur deshalb damit einverstanden, dass Sie mich besuchen, weil Danny Sie mag und Sie vor Jahren mal Alan geholfen haben, als Sie ihn bei einem Diebstahl erwischt haben. Er ist jetzt ein ordentlicher Mensch – verheiratet, mit zwei kleinen Kindern –, und ich kann mir denken, dass Sie froh sind, dass Sie ihm damals eine Chance gegeben haben. Es war auch nett von Ihnen, mich damals im Krankenhaus zu besuchen. Ich weiß, ich habe gesagt, ich wäre die Treppe heruntergefallen, aber Sie haben bestimmt erraten, dass die ganzen Blessuren von Derek stammten.
Sie sagen, dass sich seit 1978 viel verändert hat, und das ist wahr. Hier wohnt beinahe niemand mehr, der sich noch an Annie erinnert. Ich glaube auch heute noch nicht, dass sie ermordet worden ist, aber wie Sie sagen, es ist ja nichts dabei, wenn man sich mal drüber unterhält. Derek hat mich vor zwanzig Jahren Knall auf Fall sitzen lassen, und ich hab ihn seitdem nicht wiedergesehen.
Wenn Sie nächsten Montag um die Mittagszeit kommen, soll's mir recht sein.
Ihre Maureen Slater
* * *
Leavenham Farm
Leavenham
Nr. Dorchester
Dorset
DT2 XXY
Donnerstag, 5. August 1999
Sehr geehrter Mr. Drury,
unter Bezugnahme auf unser
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