Schlangenspuk - Dorothea K. - Schachmatt
wellenförmiges Muster aus.
Stefane fiel stöhnend in die aufgeweichte Erde, Giulia, die sich an ihm festgehalten hatte, klatschte neben ihm in den Schlamm. Die Wellen machten nicht bei der nassen Erde Halt – sie gingen durch die Menschen hindurch! Ein Blitz erhellte die Landschaft, und für einen winzigen Augenblick glaubte Salvatore das ganze Ausmaß der Veränderung zu sehen, die sich hier vollzogen hatte. Der Boden und die Wände der Grube waren mit dem runden Muster überzogen, das sich auf der Platte befunden hatte. Dann versanken die Wellen in der Erde, und es war vorüber. Die beiden Menschen lagen zu seinen Füßen, schwer atmend, als hätten sie ihre eigene Schlacht ausgefochten. Jene, die der Himmel über ihnen bestritt, entwickelte mehr und mehr Gewalt. Der Wind nahm eine orkanartige Stärke an, riss Büsche aus und trieb sie über das Land. Ganz in der Nähe knickte ein Baum um. Der abgebrochene Teil fiel nicht gleich zu Boden, sondern wurde vom Wind erst noch einige Meter mitgetragen und krachend in seine Einzelteile zerlegt.
Salvatore öffnete Giulias Kragen, damit sie genügend Luft bekam, und kontrollierte auch den Kragen von Stefanes Pulli. Dabei entdeckte er, dass der junge Mann etwas um den Hals trug.
Es war eine dünne Kette mit einem Anhänger daran. Was der Anhänger darstellte, war schwer zu sagen. Salvatore wog ihn in der Hand. Ein grob ypsilonförmiger Gegenstand, ein Schmuckstück aus Bronze wahrscheinlich, sehr grob gearbeitet und alles in allem klein genug, um in eine Streichholzschachtel zu passen. Er hatte etwas Derartiges nie gesehen. Vorsichtig löste er den Verschluss der Kette und nahm sie dem Archäologen ab. Eine Kette konnte lebensgefährlich sein. Leicht hätte er sich bei seinem Anfall damit strangulieren können.
Stefanes Augen waren offen, und er versuchte etwas zu sagen.
„Komm, weg hier“, befahl Salvatore und half ihm hoch. Giulia kam von alleine auf die Beine. Obwohl in ihren Blicken noch das Grauen der letzten Minute stand, hatte sie sich schneller wieder unter Kontrolle als der Mann.
Und Salvatore? Was ging in ihm vor?
Er kümmerte sich um die beiden, führte sie aus der Grube hinaus auf die Wiese und versuchte dabei zu vergessen, was er selbst zu sehen und zu spüren geglaubt hatte. Stefane, der das Gleichgewicht noch nicht aus eigener Kraft halten konnte, musste er stützen, und einmal glitten sie gemeinsam aus und stürzten in den Schlamm. Als sie die Grube verlassen hatten, wurde es nicht besser. Der Sturm peitschte wie mit unsichtbaren Ruten auf sie ein. Wenn sie sich abwandten, wechselte er die Richtung. Und sein Heulen war nicht mehr das einer einzelnen, gigantischen Orgelpfeife. Es war ein ganzes Orgelgewitter, das ein unsichtbarer Irrer da auf einer 360 Grad umfassenden Tastatur herunterspielte, deren Manuale bis in den Himmel reichten.
Sie verliefen sich, denn ein Baum, den es vorhin noch gegeben hatte, war vom Sturm niedergestreckt worden. Mühsam fanden sie den Hang wieder, den sie herabgekommen waren.
Und dann waren sie plötzlich nicht mehr sicher, ob er es tatsächlich war.
„Der Container“, ächzte Salvatore.
Stefane versteifte sich, war mit einem Mal hellwach. Der Archäologe löste sich von seinem Freund und begann zu laufen, schneller noch als dieser.
„Marcel!“, kreischte er. „Marceeeeel!“
Der voluminöse Franzose musste sich noch in der Bauhütte aufhalten.
Eine Hütte, die jetzt – spätestens jetzt! – hätte in ihrem Sichtfeld auftauchen sollen.
Doch der Hügel war leer.
2
Salvatore hechelte den Abhang hinauf. Er dachte nicht mehr an Giulia, die irgendwo hinter ihm durch den Sturm irrte. In seinem Kopf war nur noch Platz für Marcel, den fettleibigen Franzosen mit der blonden Siegfried-Frisur. Er sah ihn vor sich, wie er durch den hinabstürzenden Container geschleudert und gegen die Wände geklatscht wurde, hilflos, wie ein träges Stück Teig, von den flinken Händen eines Pizzabäckers geschlagen.
War der Container nach unten gerutscht oder gerollt ? Hatte er sich überschlagen? War er zerlegt worden? Hatte er die Autos getroffen, die am Fuß der Erhebung abgestellt waren, oder hatte er einen anderen Weg genommen?
Stefane hatte inzwischen den Gipfel des Hügels erreicht und stand dort für einen Moment wie eine tragische Statue. Obwohl es längst noch nicht Zeit für die Dämmerung war, lag die Gegend in unwirklichem Zwielicht. Zwischen den Wolken sickerte blaugraues, bleiernes Licht hindurch, der Schein
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