Schlangenspuk - Dorothea K. - Schachmatt

antworten. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Wohin würde er schießen? Auf meine Brust? Auf meinen Kopf? Ich starrte auf das schwarze Loch der Mündung und konnte mir gar nicht recht vorstellen, wie in diesem kurzen Lauf eine Kugel so schnell werden sollte, dass sie … dass sie …
    Im Wilden Westen wäre jetzt ein Klicken zu hören gewesen, wenn der Hahn gespannt wurde. Hier krümmte sich nur ein Finger. Die Waffe war von Anfang an entsichert gewesen.
    „Aarrrrrrr!“ Es war ein wildes Tier, das schrie. Ich nicht. Ich nicht.
    Der Revolver zuckte herum, und der Mann, der ihn hielt, stieß einen Fluch aus. Im nächsten Moment spürte ich, wie der Fuß des anderen von meinen Haaren stieg. Sie blickten weg von mir, weit hinter mich. Vorsichtig drehte ich den Kopf zur Seite, um zu sehen, was sie irritierte. Was eben so geschrien hatte.
    Den Körper des Weißhaarigen hatte ich vorher nicht wahrgenommen. Ich war so brutal aus dem Wagen gerissen worden, dass die Gestalt im Abseits, die in einer dunkelroten Pfütze lag und aussah, als wolle sie daraus trinken, es nicht bis in mein Blickfeld geschafft hatte. Jetzt sah ich, dass der Besitzer des Platzes nicht tot war. Er hatte sich aufgerichtet, das blutverklebte Gesicht erhoben, und er brüllte wie ein wahnsinnig gewordener Racheengel.
    Der Mann mit dem Revolver legte auf ihn an.
    Ich rappelte mich auf, noch ehe er schoss.
    Mir war vollkommen bewusst, dass er nur eine schnelle halbe Drehung vollführen musste, um mich aus nächster Nähe abzuknallen. Aber mir war auch bewusst, dass dies die letzte Chance war, die ich in diesem Leben bekommen würde. Und ich würde sie wenigstens nicht ungenutzt vergeuden.
    Der Weißhaarige brüllte irgendetwas. Wahrscheinlich war es etwas Wichtiges. Etwas, das die beiden mehr interessierte als das, was ich ihnen zu sagen gehabt hatte. Mit Sicherheit winselte er nicht um sein Leben. Vielleicht drohte er ihnen, aber falls er das tat, dann waren es nicht nur leere Schimpfwörter, die er ihnen an den Kopf warf, sondern Worte von tieferer Bedeutung. Etwas, woran sie nicht gedacht hatten. Etwas, was sie nicht wussten. Jedenfalls eine Information, die sie für einige Sekunden innehalten ließ.
    Der Mann, denn ich mir eben noch tot gewünscht hatte, lebte. Und ich würde Gott dafür danken, sobald ich Zeit dazu fand.
    Du musst leise sein , sagte eine innere Stimme, aber ich war nicht in der Lage, mich danach zu richten. Es kam mir vor, als klatschten meine Füße ungeschickt und lärmend auf den Boden. Meine Arme schlenkerten hin und her. Ich fühlte mich kraftlos, aber ich rannte wie der Teufel.
    Ein Schuss bellte, und ich duckte mich. Die Kugel pfiff nicht in meine Richtung. Sie musste dem Besitzer des Platzes gegolten haben. Was immer er ihnen erzählt hatte, seine Argumente waren offenbar nicht gut genug gewesen.
    Der nächste Schuss, da machte ich mir keine Illusionen, würde auf mich abgegeben werden. Bevor es soweit war, wollte ich weit weg sein.
    Das war leichter gesagt als getan.
    Die Durchgänge zwischen den einzelnen Schrotthaufen waren nicht schmal genug, um sich darin zu verbergen. Natürlich nicht. Die Breite musste reichen, um den Kran durchzulassen. Ich hielt mich dennoch eng an den aufragenden Metalltürmen, in der Hoffnung, in der Dämmerung mit ihnen zu verschmelzen. Doch es war noch lange nicht dunkel genug, um sich hier irgendwo zu verstecken. Es half nichts – ich musste raus hier!
    Zwei Schüsse bohrten sich in eines der Autowracks und prallten als Querschläger ab, dann, nach einer kleinen Pause, noch einer. Ich kann nicht sagen, wie weit der Tod von mir entfernt war. Das Pfeifen der Geschosse kam mir schrecklich laut vor. Ich verkroch mich hinter einen der Türme und atmete tief durch, dachte einen Moment lang nach.
    „Wir kriegen dich!“, brüllte eine überschnappende Stimme. „Du entwischst uns nicht!“
    Wenig originelle Worte. In meiner Situation entwickelten sie eine beinahe hypnotische Kraft, schienen mich zu fesseln. Das nächste Mal würden die Männer kurzen Prozess machen. Ich hatte ihre Gesichter gesehen. Ich konnte der Polizei wertvolle Hinweise geben, wenn ich überlebte. Als sie in der Abenddämmerung auf den abgelegenen Schrottplatz kamen, um ihre private Exekution vorzunehmen, hatten sie nicht damit gerechnet, Zeugen zu haben.
    Ich rannte wieder los, hastete über den unebenen Boden, jagte von einem Turm zum nächsten. Dass ich viel Zeit hier verbrachte, kam mir jetzt zugute. Selbst in meiner