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Schlangenspuk - Dorothea K. - Schachmatt

Schlangenspuk - Dorothea K. - Schachmatt

Titel: Schlangenspuk - Dorothea K. - Schachmatt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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mehrerer Freitode geworden war und selbst einen Selbstmordversuch unternommen hatte. Sie hatte ihm auch ein Geständnis gemacht, das ihr gewiss nicht leicht gefallen war:
    Madoka hatte es auf Arturs Schutzgeist abgesehen. Seit sie ihren eigenen bei ihrem Suizidversuch getötet hatte, fühlte sie sich auf eine unerträgliche Weise verlassen. Sie war möglicherweise noch einsamer als ein Mensch, der alle seine Angehörigen und Freunde auf einen Schlag verloren hatte, denn ihr Schutzgeist war ein Teil von ihr gewesen. Solange sie ihn in sich gehabt hatte, war er ihr oft lästig gewesen, doch meist konnte man den Wert von etwas erst dann wirklich empfinden, wenn man dieses Etwas verloren hatte – ganz gleich, ob es sich um einen Gegenstand, einen Menschen oder … eine schützende Macht handelte.
    Nach dem Verlust des Schutzgeistes war sie aus Japan geflohen und hatte sich nach China abgesetzt. Dort hatte sie sich, auf ihren Jûdô-Kenntnissen aufbauend, einige Jahre lang in mehrere Kampfsporttechniken vertieft. Da sie sich schutzlos und verletzlich fühlte, war es nur verständlich, dass sie ihre gesamte Energie in die Selbstverteidigung steckte. Sie war besessen von dem Gedanken, denselben Grad an Schutz aus eigener Kraft zu erreichen, den ihr zuvor der Geist in ihrem Inneren gewährt hatte. Doch im Laufe der Zeit wurde ihr klar, dass sie mehr als nur Schutz brauchte. Sie suchte Geborgenheit, eine Gemeinschaft, eine Heimat. Und gleichzeitig neue Herausforderungen für ihren außergewöhnlichen Verstand. Die körperlichen und geistigen Übungen hatten einen Teil von ihr befriedigt und einen anderen nur noch hungriger gemacht. Mit einem falschen Pass kam sie nach Deutschland. Deutsch war die dritte Fremdsprache, die sie gelernt hatte. Sie suchte nach einer besonderen Stätte, an dem sie lernen, leben, nachdenken konnte.
    Und sie fand Falkengrund, einen Ort, wie es ihn eigentlich nicht geben durfte, mehr eine Zuflucht denn eine Schule, eine Gemeinschaft von Einzelgängern und Sonderlingen, die unterschiedliche Hoffnungen und Träume mit dieser Institution verbanden. Doch nicht einmal an einem solchen Ort, in einer solchen Gemeinschaft, gelang es Madoka, den Panzer zu durchbrechen, den sie um sich herum aufgebaut hatte. Sie wurde zur Außenseiterin unter den Außenseitern. Die Anwesenheit der anderen befremdete sie, denn es gab niemanden unter ihnen, der ein ähnliches Schicksal erlitten hatte wie sie. Niemanden, mit dem sie sich austauschen oder dem sie sich anvertrauen konnte. Sie war so alleine wie zuvor, zweifelte immer mehr daran, dass sie mit Falkengrund die richtige Wahl getroffen hatte.
    Bis Artur Leik in die Schule eintrat.
    Am Tag seiner Ankunft ereignete sich etwas, was ihr Leben veränderte. Sein Schutzengel, ein Hundegeist, eilte ihm voraus durch die Räume der Schule, prüfte die Bewohner Falkengrunds – und attackierte sie, Madoka!
    „Warum?“, fragte Artur jetzt, als er an ihrem Bett saß und sah, dass sie von der Rückkehr in die Schule zu aufgewühlt war, um einzuschlafen. „Was wollte mein Schutzgeist von dir?“
    Er stellte ihr diese Frage zum ersten Mal. Bei seinen Besuchen in der Klinik hatte er sie nicht über die Lippen gebracht, denn sie implizierte, dass Madoka eine Gefahr für ihn darstellte. Dass der Geist versucht hatte, ihn vor ihr zu beschützen. Jetzt, hier, in dem Zimmer, in dem sich der kurze und ungleiche Kampf zwischen der Japanerin und dem körperlosen Hundegeist abgespielt hatte, konnte er nicht anders. Es wäre unaufrichtig und peinlich gewesen, die Frage nicht zu formulieren. Vor ihr zurückzuschrecken, hätte das Vertrauensverhältnis zerstört, das zwischen ihnen gewachsen war.
    Werner Hotten, der Rektor, hatte inzwischen neue Scheiben einsetzen lassen. Die hässliche blaue Plastikfolie war entfernt worden. Äußerlich erinnerte nichts mehr an Madokas Sturz aus diesem Fenster im ersten Stock, der sie leicht hätte töten können. Doch für Artur stand die Erinnerung an das für ihn unbegreifliche Geschehen fühlbar im Raum. Er hatte den Sturz von unten, vom Garten aus beobachtet. Über nichts hatte er in den letzten Wochen so viel nachgedacht wie über dieses Geschehen.
    „Du denkst immer noch, ich bin eine Gefahr für dich?“, fragte Madoka leise.
    Artur schüttelte den Kopf. „Es fällt mir sehr schwer, mir das vorzustellen, das kannst du mir glauben. Aber ich finde keine andere Erklärung.“
    „Dabei ist die Antwort so einfach.“ Die Japanerin versuchte ein Lächeln,

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