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Schlangenspuk - Dorothea K. - Schachmatt

Schlangenspuk - Dorothea K. - Schachmatt

Titel: Schlangenspuk - Dorothea K. - Schachmatt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Todesangst verlief ich mich nicht. Ich hatte genau eine Chance, nicht mehr und nicht weniger: Die Männer konnten nichts von dem geheimen Eingang wissen. Sie sahen, dass der engmaschige Zaun über zwei Meter hoch war. Sie mussten damit rechnen, dass ich früher oder später auf einem Umweg zum Eingangstor zurückkehren würde. Also würde mindestens einer von ihnen dort auf mich warten.
    Ich stolperte über einen Auspufftopf, kam jedoch sofort wieder auf die Beine. Es hatte laut gescheppert. Vor mir tauchte der Zaun auf, und für einen Moment kam ich mir gefangen vor. Ein Loch im Durchmesser von einem knappen Meter würde mir das Leben retten, wenn ich es rechtzeitig erreichte. Ich jagte am Zaun entlang, bis ich es sah. Ich kroch hindurch, ohne auf meine Kleidung zu achten.
    Zwanzig Meter entfernt, hinter dem Zaun, tauchte der Schatten eines der Männer auf, sah zu mir herüber, machte keine Anstalten, zu der Stelle zu rennen, in der das Loch war. Stattdessen steckte er den Lauf seines Revolvers durch eine der Maschen und visierte mich an. Ich hatte noch hundert Meter, bis mich Bäume und hohes Buschwerk verbergen würden. Fünfzehn Sekunden blieben ihm, um mich in Ruhe abzuknallen. Er ließ sich Zeit. Ich sah nicht mehr hin und rannte einfach. Die langen, dornigen Arme der Brombeerpflanzen krallten sich in meine Kleider und in meine Haut, versuchten mich zu Fall zu bringen.
    Der Schuss blieb aus.
    Ich erreichte die Deckung nach Luft schnappend, mit schwarzen Punkten vor den Augen, aber ohne dass auf mich gefeuert worden war.
    Es konnte nur eine Erklärung geben: dem Mann, der mich töten wollte, war die Munition ausgegangen. Drei Schüsse hatte er insgesamt auf den Weißhaarigen abgegeben, weitere drei in meine Richtung. Sechs Patronen. Vielleicht hatte er kein Ersatzmagazin in der Tasche. Oder er hatte sich zu viel Zeit mit dem Zielen gelassen und nicht mehr schnell genug nachladen können.
    Ich gönnte mir keine Ruhepause. Wahrscheinlich würde er mir durch das Loch im Zaun folgen, und ich hatte ihn noch nicht wirklich abgehängt.
    Da hörte ich seine Stimme. Er brüllte, so laut er konnte.
    „Wir kennen dein Gesicht!“, klang die Stimme verzerrt zu mir herüber. „Wir finden dich überall! Du bist tot!“
    Weinend und schluchzend rannte ich weiter.

2
    Gegenwart
    Es war ein trockener und sonniger, aber kühler Oktobertag, an dem Madoka Andô und Artur Leik nach Schloss Falkengrund zurückkehrten. Sie hatten darauf verzichtet, sich vorher zurückzumelden, und das mit gutem Grund. Als ihr Taxi vorfuhr, hatte sich niemand auf ihr Kommen vorbereiten können, und genau das hatten sie erreichen wollen.
    Artur stützte Madoka auf ihrem Weg durch die Eingangshalle und die Treppe nach oben. Die Wunden der Japanerin waren weitgehend verheilt, doch der Krankenhausaufenthalt hatte sie geschwächt, und Artur kümmerte sich nach Kräften um sie.
    Die beiden erreichten den ersten Stock, ohne dass ihnen jemand begegnete. Es war ein Freitagvormittag, und die Schüler genossen wohl gerade das Mythologie-Seminar von Professor Salvatore Cavallito. Der Rektor hielt sich vermutlich hinter dem Haus im Garten auf, und Margarete Maus mochte in der Bibliothek oder in ihrem Zimmer sein. Ausgegangen zu sein schien sie nicht, denn ihr weißer Porsche stand auf dem Parkplatz.
    Artur trug Madokas Gepäck in das Zimmer, das sie gemeinsam mit dem Gothic-Mädchen Isabel Holzapfel bewohnte. Er drängte die Asiatin dazu, sich aufs Bett zu legen, um sich von den Strapazen der Reise zu erholen. Obwohl sie die Strecke von Baden-Baden aus mit dem Taxi zurückgelegt hatten, sah Madoka müde aus. In ihre Blässe mischte sich ein fahles Grau.
    Als Artur sich den einzigen Stuhl nahm und sich setzte, musste er an den Tag denken, an dem er zum ersten Mal an ihrem Bett gesessen und mit ihr geredet hatte. Das lag jetzt zwei Monate zurück. Obwohl ihn alle vor ihr gewarnt hatten, hatte er sie aufgesucht, und sie gab zu, ihn erwartet zu haben. Das Gespräch damals war nicht weit in die Tiefe gegangen, und dennoch hatte es eine Basis zwischen ihnen geschaffen. Artur schien der einzige zu sein, mit dem Madoka zu reden bereit war. Diese Tendenz hatte sich fortgesetzt, seit Artur sie in der Klinik besucht und vor ihrem rachebesessenen Bruder gerettet hatte. Sie hatten in der Zwischenzeit mehr als nur ein Gespräch miteinander geführt, und Artur war nicht nur in ihre tragische Vergangenheit in Japan eingeweiht worden, in der sie unwillentlich zum Auslöser

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