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Schlangenspuk - Dorothea K. - Schachmatt

Schlangenspuk - Dorothea K. - Schachmatt

Titel: Schlangenspuk - Dorothea K. - Schachmatt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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und auch wenn es Leute gab, die das viel besser konnten als sie, war es immer wieder sehenswert. Und auch bedrückend. Weil es sie so viel Kraft kostete zu lächeln. Weil sie mit solcher Leichtigkeit nachdachte und kombinierte und mit so großer Mühe Gefühle entwickelte und zeigte.
    „Du begehst denselben Fehler, Artur, den auch ich einmal gemacht habe. Sonst hättest du die Antwort längst gefunden.“
    „Und welcher Fehler ist das?“ Er drückte seine Handflächen gegen seine Schenkel und schob sie bis zu den Knien, wie viele Leute es tun, wenn sie nervös sind.
    Madoka, die eben auf dem Rücken gelegen hatte, drehte sich nun auf die Seite. Es war schön zu sehen, dass sie das Gesicht nicht mehr vor Schmerzen verzog, wenn sie das tat. „Ich hatte meinen Schutzgeist als eine Funktion interpretiert. Als eine Art Mechanismus, der in Aktion tritt, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Wie eine Alarmanlage, wie ein Rauchmelder, der piepst, wenn die Lichtsensoren eine Verunreinigung der Luft entdecken. Ich hatte die ganze Zeit über nie begriffen, dass da in mir ein Wesen lebte, ein Individuum, ein dienstbarer Geist, ja, aber mit einer eigenen Persönlichkeit und einer eigenen … Seele.“
    Artur schwieg. Sie hatte recht. Ja, darüber hatte er nie wirklich nachgedacht. In seinen Gedanken war stets er selbst der Mittelpunkt gewesen.
    „Ich vermochte mir nicht vorzustellen, dass der Geist sterben konnte“, fuhr die Japanerin fort. „Dass ich mit einem Suizidversuch zuerst ihn , nicht mich, vernichten würde. Seither weiß ich, dass ein solcher Geist ein eigenes Leben besitzt – und das, was zu einem Leben dazugehört: einen eigenen Überlebenswillen.“
    „Du meinst, er schützt auch sich selbst?“
    „Genau das hat dein Schutzgeist getan.“
    „Sich vor dir geschützt?“
    Madoka starrte ins Leere. „Ich werde nie vergessen, wie es war, als er durch mich hindurchfloss. Ich spürte, dass ich … geprüft wurde, und ich war geistesgegenwärtig genug, um die wenigen Augenblicke zu nutzen, um umgekehrt ihn zu betasten. Es war ja kein vollkommen neues Gefühl für mich. Ich kannte das. Solange er in mir war, konnte ich ihn … fühlen, in meinem Körper und in meinem Geist. Ich wusste nicht, woher er plötzlich kam. Der Rektor hatte uns mitgeteilt, dass ein neuer Student eintreffen würde, mehr nicht. Aber ich spürte ganz deutlich, dass dieser Geist dem Wesen, das ich verloren hatte, sehr, sehr ähnlich war. Als mir das klar wurde, war er bereits dabei, sich aus mir zurückzuziehen. Ein paar Sekunden später wäre er in den nächsten Menschen eingedrungen. Ich musste schnell reagieren.“
    „Was hast du getan?“ Artur war vom Stuhl aufgestanden.
    „Nichts. Nicht körperlich. Ich konzentrierte mich einfach auf ihn. Versuchte, eins mit ihm zu werden, eins mit ihm zu bleiben . So, wie es mich meine chinesischen Lehrer im Kampf gelehrt hatten.“ Sie machte eine Pause. „Du musst mit deinem Feind eins werden, um ihn besiegen zu können. Solange er außerhalb von dir ist, kannst du immer nur auf ihn reagieren. Erst wenn du deinen Feind in dein Inneres lässt und dieselben Gedanken denkst, die er denkt, gleichzeitig oder schon vor ihm, kannst du jeden besiegen, auch wenn er ein Dutzend Mal stärker ist als du. Ich wollte den Schutzgeist. Ich wollte, dass er mir gehörte. Ich wollte ihn, wie einen Vogel, den man einfängt und in einen Käfig steckt. Aber er war stärker.“
    „Was ist geschehen?“
    „Als ich mich öffnete, um ihn in mir aufzunehmen, übernahm er die Kontrolle über meine Muskeln. Mein Körper katapultierte sich selbst aus dem Fenster, aus eigener Kraft. Ich wünsche dir, dass du so etwas niemals erleben musst. Ich konnte dabei nur zusehen, nicht eingreifen.“
    „Aber du hast gegen ihn angekämpft.“ Artur erinnerte sich gut an die um sich schlagende Japanerin, die ihn trotz ihrer Verletzungen auf ihrer Flucht vom Falkengrund-Areal beinahe abgehängt hatte.
    „Das war später. Ich glaube, er war nicht sicher, ob er mich vernichten oder sich aus mir zurückziehen sollte.“
    „Es sah aus, als wollte er dich töten.“
    Madoka nickte. „Das wollte er bestimmt. Zumindest, solange ich ihn nicht losließ.“
    Artur wurde nachdenklich. Es fiel ihm nicht schwer, sich die Situation ins Gedächtnis zurückzurufen. Sie gehörte zu den Erlebnissen, die noch abrufbereit sein würden, wenn er ein tattriger Greis war. „Ich weiß noch genau, was du damals gerufen hast“, sagte er, nachdem er

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