Schlangenspuk - Dorothea K. - Schachmatt
Falkengrund kommst“, erwiderte Madoka, und ihre Augen glommen in dunkler Intensität. „Ich brauche dich. Bis jetzt habe ich in den Bewohnern dieses Schlosses einen vom Zufall zusammengewürfelten Haufen gesehen. Möglicherweise stimmt dieses Bild nicht ganz. Unter Umständen ist nicht alles hier so zufällig, wie es aussieht. Dies ist mehr als eine Schule. Es gibt hier eine Ebene, über die wir noch nichts wissen. Das interessiert mich, Artur. Ich laufe nicht gerne in eine Falle, auch wenn sie nur sehr, sehr langsam zuschnappt …“
3
Vergangenheit
Meine blonden Haare waren schwarz gefärbt, und ich trug eine Brille mit Fensterglasscheiben. Ich hatte mein Aussehen völlig verändert, denn die beiden Männer, die den Besitzer des Schrottplatzes getötet hatten, waren nie gefasst worden. Obwohl ich mit einem talentierten Polizeizeichner Phantombilder erarbeitet hatte, die das Mörder-Duo deutlich abbildeten, erbrachte die Fahndung keinen Erfolg. Es wurde noch nicht einmal aufgeklärt, in welche Geschäfte der weißhaarige Serbe verstrickt gewesen war.
Mein Leben nach dem Vorfall auf dem Autofriedhof war kein Leben mehr. Die Drohung des Mannes ging mir nicht aus dem Kopf, nachts erwachte ich an meinen eigenen Schreien. „Wir kennen dein Gesicht. Wir finden dich überall. Du bist tot.“ Die Worte kreisten immerzu in meinem Verstand, ob ich wach war oder schlief. Was ich auch tat, nichts konnte sie aus meinem Geist vertreiben. Meine Verkleidung kam mir durchsichtig vor, und es war mir unmöglich, Orte aufzusuchen, an denen sich viele Menschen versammelten. Fremde Männer starrte ich so lange an, bis sie entweder irritiert wegsahen oder meinten, ich wolle etwas von ihnen. Allmählich wurde ich immer unsicherer, ob ich die Gesichter der beiden tatsächlich noch unverfälscht im Gedächtnis hatte, und mir kam es mehr und mehr so vor, als würden die meisten Männer in einem gewissen Alter ihnen ein wenig ähnlich sehen.
Polizeischutz war mir angeboten worden, aber ich hatte ihn abgelehnt. Ich war nicht so naiv anzunehmen, dass man mir ein Leben lang einen Beamten zur Seite stellen konnte. So etwas würde mich nur auffallen lassen. Die beiden Männer würden sehen, dass dieses Mädchen mit den kurzen schwarzen Haaren und der aufdringlichen super-modischen Brille von der Polizei beschützt wurde. Dann erst würden sie ihre Phantasie spielen lassen und sich das Mädchen mit langem Blondhaar und ohne Brille vorstellen. Sie würden einfach abwarten, bis der Polizeischutz abgezogen wurde. Und dann zuschlagen.
Erst als ich ein Studium in Bielefeld begann, fasste ich allmählich neuen Lebensmut. Die Menschenmassen an der Uni und in der Stadt trieben mir den Angstschweiß auf die Stirn, aber andererseits wusste ich, dass Bielefeld über dreihundert Kilometer von dem Dorf entfernt war, in dem ich aufgewachsen war. Die Chance, dass die beiden Killer mir dort zufällig über den Weg liefen, war gering. Freilich hörte ich deswegen nicht auf, meine Umgebung skeptisch und aufmerksam zu beäugen, was es mir schwer machte, Freunde zu finden. Es war nur natürlich, dass ich mich für Psychologie einschrieb. Mindestens die Hälfte der Studenten in diesem Fach hoffen, sich von ihren eigenen Problemen kurieren zu können, wenn sie erst genügend psychologisches Wissen angesammelt haben. Die Warnungen der Professoren, ein Studium nicht mit einer Therapie zu verwechseln, verhallen ungehört. Es ist der Fluch dieses interessanten Faches.
Im dritten Semester lernte ich einen Jungen kennen, der mir gefiel. Vielleicht war es sein schmales, langes Gesicht, das mich anzog, weil es mich so gar nicht an die breiten Visagen der beiden Killer erinnerte. Das Schicksal schlägt manchmal seltsame Kapriolen, und dazu gehörte wohl, dass ich bald mitbekam, dass er auf Blondinen stand. Was meine Brille anbelangte, war ich nicht sicher, aber ich bildete mir ein, dass sie ihn abstieß. Mir war sie schon lange lästig, genau wie meine falsche Haarfarbe, die mir mittlerweile beinahe wie der Grund meiner Niedergeschlagenheit und meiner Angstvorstellungen erschien.
Monatelang zögerte ich die Entscheidung hinaus, aber eines Tages beschloss ich, die Brille abzulegen und meine schwarzen Haare blondieren zu lassen. Was dabei herauskam, war recht nahe an meiner echten Haarfarbe. Der Friseur hatte ganze Arbeit geleistet.
Ich redete mir ein, dass sich mein Gesicht in den letzten zweieinhalb Jahren – so viel Zeit war seit dem Vorfall auf dem Autofriedhof
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