Schlangenspuk - Dorothea K. - Schachmatt
vergangen – ohnehin verändert hatte. Trotzdem würde mir beinahe übel, als ich mich im Spiegel sah. Obwohl ich älter geworden war und die Haare nicht die Länge von damals hatten, war es mir, als blicke mir aus dem Spiegel das Mädchen entgegen, das damals nur knapp dem Tod entronnen war.
Als ich den Jungen nach einigen Versuchen dazu gebracht hatte, mich in ein Restaurant einzuladen, waren meine Ängste wieder so groß geworden, dass ich beinahe in letzter Sekunde noch abgesagt hätte. Während ich mich für das Date zurechtmachte, verschwitzte ich drei Unterhemden und stellte mich jedes Mal unter die Dusche, um den unangenehmen Geruch meiner Angst abzuspülen. Er hatte vorgeschlagen, ins Theater oder Kino zu gehen, doch dazu war ich nicht bereit. Den Gedanken, im Publikum zu sitzen und mich ständig umdrehen und vergewissern zu müssen, dass die beiden nicht hinter mir saßen, ertrug ich nicht. Zumal es im Zuschauerraum entsetzlich dunkel werden würde. Ich würde es nicht über mich bringen, zwei Stunden inmitten der Finsternis zwischen all den Menschen zu sitzen.
Auf meinen Wunsch hin hatte mein Schwarm einen Tisch in einer Ecke reserviert. Von dort aus konnte man den ganzen Raum überblicken. In der Mitte zu sitzen, kam für mich nicht in Frage.
Natürlich hatte er mir meine Nervosität längst angemerkt, nicht erst an diesem Abend, schon viel früher in den Vorlesungen, die wir gemeinsam besuchten. Ich hatte mir eine Geschichte zurechtgelegt, etwas, was ich in einem der Psychologiebücher gelesen hatte, für den Fall, dass er den Mut haben würde, es anzusprechen. Die Wahrheit würde ich ihm nicht verraten. Vielleicht später einmal, wenn wir uns näher kannten, aber jetzt noch nicht. Ich hatte mit niemandem darüber gesprochen, seit ich damals von der Polizei verhört worden war.
Das Restaurant war übersichtlich und hell. In einer Vitrine lagen auf einer dicken, leuchtenden Eisschicht Fische und Meeresfrüchte und machten Appetit auf die spanischen Speisen, die die Karte auf ihren elegant designten Seiten anbot. Die Kellner waren kleine Männer mit Schnurrbärten und lässigem Charme. Sie klatschen große, lappige Notizblöcke auf den Tisch und trugen Mienen zur Schau, die hochmütig wirkten, solange sie ins Leere blickten, aber in Freundlichkeit umschlugen, sobald man es wagte, sie anzusprechen.
„Anfänger bestellen grundsätzlich Paella, weil es das einzige ist, was sie kennen“, hatte mich mein Begleiter vorher aufgeklärt. Ich hatte ihn gedrängt, die Auswahl zu übernehmen, auch deshalb, damit ich meine Umgebung checken konnte, wie ich es immer tat.
Er bestellte Chipirones en su tinta, Tintenfische in Tintensoße, und Pisto marinero, einen Gemüseeintopf mit Thunfisch. Wir tranken einen Rioja Vega Blanco und Mineralwasser. Es wäre übertrieben zu behaupten, dass wir ein ausgelassenes Gespräch führten. Die Spannung, unter der ich stand, übertrug sich auf ihn, und unsere Sätze hatten etwas Abgehacktes, Unrundes an sich, obwohl wir uns angeregt über die Schrullen unserer Professoren unterhielten. Der Alkohol verstärkte meine innere Nervosität eher noch. Einmal fragte mein Date, ob ich das Gefühl hatte, ich solle nicht hier sein. Es war eine Frage, wie sie nur ein Psychologiestudent formulieren konnte. Ich war unfähig, eine Antwort zu geben, und er ging wie ein Gentleman darüber hinweg.
Wir hatten um halb acht zu speisen begonnen, und da waren die meisten Tische noch leer gewesen. Erst, als wir schon beim Nachtisch, einer Creme Catalana, angekommen waren, füllte sich das Lokal allmählich. Mein Begleiter wartete bereits auf die Rechnung, da wurde der letzte Tisch in der Mitte des Restaurants von zwei Männern in Beschlag genommen. Sie setzten sich auf eine geradlinige, zielgerichtete Weise, ohne vorher um den Tisch herumzutänzeln, wie es die meisten Leute taten. Einer der beiden trug eine randlose Brille.
Bis zu diesem Zeitpunkt war ich trotz meiner Nervosität stolz darauf gewesen, wie gut ich mich unter Kontrolle hatte. Diese beiden Gäste jedoch …
Bevor ich weitererzähle, muss ich ein Geständnis ablegen: Ich weiß bis heute nicht, ob diese zwei Männer jene waren, die mir auf dem Autofriedhof begegnet sind. Möglicherweise waren sie es – solche Zufälle geschehen. Vermutlich aber waren es gewisse Ähnlichkeiten in ihren Gesichtern, zusammen mit der Tatsache, dass sie Serbokroatisch sprachen, die mich in Panik versetzten. Dazu kam, dass ich mir einbildete, sie hätten zu
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