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Schlangenspuk - Dorothea K. - Schachmatt

Schlangenspuk - Dorothea K. - Schachmatt

Titel: Schlangenspuk - Dorothea K. - Schachmatt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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und er hält daher die Verabredung mit dem Fremden ein.

3
    Als der Junge eintrifft, steht die Tür einen Spalt offen, und er kann erkennen, wie der Mann tatsächlich um den Tisch herumgeht, langsam, mit weichen, schwingenden Schritten, als führe er eine Art Tanz auf. Das Gesicht hat er dabei fest auf das Spielbrett gerichtet. Wenn Erik erwartet hat, der Fremde würde seine Anwesenheit wahrnehmen, aus den Augenwinkeln heraus oder intuitiv vielleicht, täuscht er sich. Nicht einmal das Knarren der Dielen scheint bis zu ihm durchgedrungen zu sein.
    Der Junge drückt die Tür auf, und erst, als sie einen Punkt erreicht hat, an dem die Scharniere ein lautstarkes Mäusequietschen anstimmen, hält der Mann in seinem einsamen hypnotischen Reigen ein, und es sieht aus, als müsse er seinen Blick von dem Brett abziehen wie ein Oktopus einen festgesogenen Saugnapf von einem Schiffsrumpf.
    „Ein schwieriges Problem“, sagt der Gast und schüttelt sich ein wenig wie jemand, der sich in Spinnweben verheddert hat. „Und du kleiner Bauernjunge willst mir dabei helfen?“
    Erik hat nichts dergleichen behauptet, aber er widerspricht auch nicht, sondern kommt näher und sieht sich die Situation an.
    Der Mann hat die drei Figuren in eine Ecke des Bretts gestellt. Von dem Jungen aus gesehen steht der schwarze König auf dem rechten hinteren Eckfeld, der weiße Turm zwei Felder davor und der weiße König zwei Felder links und eines unterhalb vom schwarzen, also in Rösselsprungentfernung. Erik nimmt sich viel Zeit, um die Situation zu studieren, schließlich hat er keine Erfahrung in solchen Dingen, aber nach ein paar Minuten ist er sicher, dass er nichts Falsches behauptet, als er sagt: „Schachmatt für Schwarz.“
    „Gut“, meint der Fremde und zieht die Lippen zu einem flachen, irgendwie ernsthaften Lächeln auseinander. „Du hast den Namen des Spiels erraten. Auf Anhieb. Du hast es doch nicht etwa schon einmal gespielt?“
    „Ich habe schon ein paar Mal Schach gespielt, wenn Ihr das meint.“
    „Das meine ich aber nicht, sonst würde ich es sagen. Ich sagte, das Spiel heißt, wie du es eben genannt hast: Schachmatt für Schwarz.“
    Erik stellt sich aufrecht. „Schachmatt für Schwarz ist kein Spiel“, protestiert er mutig. Irgendwie hat er das Gefühl, dass der Fremde nicht zornig werden wird, wenn er widerspricht. Ganz anders als die anderen Erwachsenen. „Das ist das Ende eines Spiels. Schwarz kann nicht mehr ziehen, ohne im nächsten Zug geschlagen zu werden. Egal, auf welches Feld er geht, entweder erwischt ihn der weiße Turm oder der König.“
    „Richtig.“ Jetzt kommt der Mann um den Tisch herum und setzt sich auf den Stuhl. Sein Kopf ist danach ungefähr auf gleicher Höhe mit dem von Erik, ein wenig niedriger sogar. „Wie alt bist du?“ Sein Kopf ist gesenkt, und das verleiht seinen von unten heraufblickenden Augen etwas Lauerndes.
    „Zwölf“, antwortet der Junge und zeigt mit einer steilen Falte auf der Stirn, dass er den Zusammenhang der Frage nicht versteht.
    „Dann bist du noch ein Kind, aber nicht mehr lange.“ Der Mann legt die Hände auf den Tisch. Sie sind sehnig und voller hervorquellender Adern, beinahe, wie die Maserung von Holz. „Bald wird deine Kindheit an ihrem Ende angelangt sein. Wahrscheinlich wirst du danach weiterleben, aber deine Kindheit wird vorüber sein. Wenn eine Phase endet, beginnt eine andere. Wenn du erwachsen bist, brauchst du deine Spielsachen nicht mehr. Du brauchst andere Dinge. Und du wirst andere Ziele haben, andere Strategien entwickeln. Es wird neue Regeln für dich geben. Neue Regeln bedeuten ein neues Spiel.“
    „Ja, aber …“ Erik wird nicht etwa unterbrochen, er spricht einfach nicht weiter, weil ihm nichts Sinnvolles einfällt, und wartet, bis sein Gegenüber wieder das Wort ergreift.
    „Manche Spiele haben ein echtes Ende“, fährt der Mann fort. „Manche Sportspiele enden, wenn einer der Kontrahenten eine bestimmte Punktzahl erreicht. Manche Kartenspiele enden, wenn alle Karten ausgespielt sind oder einer der Spieler keine mehr auf der Hand hat. Dann ist das Spiel abgeschlossen, und es gibt kein Danach mehr. Das ist wie der Tod. Aber Schach kann kein echtes Ende haben. Partien, die nicht remis oder patt enden, enden schachmatt.“
    Erik zieht die Schultern hoch. „Ist das nicht dasselbe? Ich meine, die Partie ist dadurch entschieden, oder?“
    Der Mann kneift die Augen zusammen und fixiert das Brett. „Kann es wirklich dasselbe sein, ob der

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