SCHLANGENWALD
Sally, als ob sie Paulas Gedanken erraten hätte. „Er ist und bleibt ein Unikum.“
Sally vereinbarte mit dem Taxifahrer, dass er sie gegen fünf Uhr abends abholen sollte. Noch bevor die beiden Frauen ausgestiegen waren, hatte Blanco bereits die Tür geöffnet.
„Sally? Paula? Was macht ihr denn hier? Noch dazu beide gemeinsam?“, wunderte sich der Journalist. Er trug wie beim letzten Mal, als Paula ihn gesehen hatte, kurze Hosen. Nur diesmal verhüllte ein T-Shirt seinen Pelz.
„Ist Ricarda bei Ihnen?“, platzte Paula heraus, anstatt ihn zu begrüßen.
„Ricarda? Nein, die habe ich vor gut zwei Wochen das letzte Mal gesehen.“
Paula sah Sally enttäuscht an.
„Kommt erst einmal herein“, lud Blanco sie ein und führte sie in das Haus, das aus einem einzigen Raum bestand.
„Also was ist los mit Ricarda?“, fragte Blanco, während er Kaffee zubereitete.
Paula erzählte ihm von ihrer Rückkehr in die Ferienanlage, dass sie Ricarda nirgends hatte finden können und von Kandins Erklärung, dass sie einen neuen Job angenommen hätte. Blanco schaute sehr ernst drein. „Das ist schlecht“, seufzte er, „das ist sehr schlecht.“
Schweigend goss er den Kaffee in drei Becher und stellte sie auf den Tisch, an dem die beiden Frauen Platz genommen hatten.
„Ricarda hatte etwas sehr Interessantes entdeckt. Sie war mit einem Arbeiter, der schon seit Baubeginn dabei war, ins Gespräch gekommen. Der erzählte ihr von einem unterirdischen Raum und wie schwierig sich die Arbeiten beim Ausheben der Grube gestaltet hatten, weil immer wieder Wasser hineingesickert war.“ Blanco machte eine Pause und nahm einen Schluck vom dampfenden Kaffee. Ricarda sei nach diesem Gespräch zu ihm gekommen, habe ihm davon erzählt und ihn um Unterstützung gebeten. „Ich habe versucht, sie davon abzubringen, und sie beschworen, nicht aktiv zu werden, aber möglicherweise hat sie Kandin doch darauf angesprochen“, schloss er seine Ausführungen.
„Was machen wir jetzt?“ Paula hatte den Gedanken, dass Ricarda etwas passiert sein könnte, bisher verdrängt.
„Ich denke, es wird uns nichts anderes übrig bleiben, als uns auf die Suche nach Ricarda zu machen“, sagte Sally ruhig.
Paula sah sie entgeistert an.
„Aber wo bitte sollen wir zu suchen beginnen? Wir haben doch überhaupt keinen Anhaltspunkt. Sie könnte überall sein“, gab sie zu bedenken.
„Also, mir kommt da ein Gedanke“, unterbrach sie Blanco. „Es ist nur ein seidener Faden, aber Ricarda und ich habenfrüher einmal für den Fall, dass ihr etwas zustoßen sollte, vereinbart, dass sie im Gerätehaus im Zoo brisante Unterlagen hinterlegen würde.“
„Fragt sich nur, wie wir da hineinkommen“, überlegte Paula. „Gibt es eine Möglichkeit, von hier unbemerkt zum Strand zu kommen?“
„Zum Strand kommen wir von hier aus schon, aber nicht zum Strand vor der Anlage“, zerstörte Blanco ihre Hoffnung. „Die Strände hier sind immer wieder durch Felsen, Einschnitte oder Gräben getrennt. Es wird uns nichts anderes übrig bleiben, als es übers Land zu versuchen.“
„Es gibt noch die Möglichkeit, die Mauer der Anlage entlangzugehen. Ich weiß von Ricarda, dass das möglich, aber aufgrund des Dickichts und der giftigen Tiere kein ungefährliches Unterfangen ist“, warf Paula ein.
Blanco und Sally blickten sie schweigend an. Paula wusste, was in ihren Köpfen vorging. Sie war die Einzige von ihnen, die fit und schlank genug war, diesen Weg zumindest zu versuchen.
Blanco nahm ein Paar Stiefel und eine Jacke aus dem Schrank. „Die Sachen sind von meiner Tante, der die finca gehörte. Sie hat damit ihre Runden im Urwald gemacht.“
Paula zog die Jacke aus festem Segeltuch und die Stiefel an. Sie waren etwas zu klein, aber gingen bis knapp unters Knie, sodass sie besseren Schutz als ihre Turnschuhe boten.
„Und wie komme ich ungesehen an den Wachen vorbei?“
„Das Ablenkungsmanöver werde ich veranstalten“, mischte sich Sally ein. „Mehr Sorgen mache ich mir, wie du vom Strand ungesehen in die Anlage kommen willst.“
„Das ist kein Problem“, entgegnete Paula. „Emilio hat mir erzählt, dass er heute das Restaurant nicht aufsperrt, weil die Bauarbeiter an diesem Wochenende nach Hause gefahren sind. Kandin sollte ebenfalls unterwegs sein, und auch wenn er hierwäre, so liegt sein Büro im hinteren Bereich der Anlage.“ Paula versuchte nicht nur die beiden anderen zu überzeugen, sondern auch sich selbst. In Wahrheit hegte sie starke
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