Schlankheitswahn (Ein Fall für Lizzy Gardner) (German Edition)
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Wie ein einziger Tag
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Es war erst drei Uhr nachmittags … noch zwei qualvolle Stunden. Ihre Lider fühlten sich an, als hingen Gewichte daran. Sie beugte sich vor, griff in ihre Handtasche und tat so, als wühle sie darin herum, während sie in Wirklichkeit die Augen schloss. Ahhh. Das fühlte sich schon viel besser an. Ein kleines Nickerchen würde ihr wieder auf die Sprünge helfen.
»Sie da hinten!«, hörte sie jemanden rufen.
Sie riss die Augen auf, verharrte aber in ihrer gebeugten Haltung. Was war los? Wen meinte er? Bitte nicht …
»Sie da, die sich gerade in ihrem Rucksack versteckt.«
Lizzy hob langsam den Kopf und setzte sich aufrecht.
Alle Blicke richteten sich auf sie.
Lizzy sah Anthony Melbourne fragend an und deutete auf ihre Brust.
Er nickte. »Sie sehen ziemlich fit aus. Was bringt Sie heute hierher?«
Lizzy saß ganz hinten in dem großen Bankettsaal des Hotels. Es gab jede Menge Leute, die näher an der Bühne saßen und darauf erpicht waren, bei der Show mitzumachen. Warum hatte Melbourne ausgerechnet sie ausgewählt? Sie musste sich etwas einfallen lassen. Hastig überflog sie die Broschüre auf ihrem Schoß, die man ihr am Eingang ausgehändigt hatte. »Ich bin dieses Wochenende zu ihrem Seminar gekommen, weil ich … äh … weil ich keine Energie habe.«
»Dann sind Sie also hier, weil Sie Ihre Müdigkeit durch Sport überwinden wollen.«
»Ja, das stimmt.«
Melbourne drehte den Kopf ein wenig zur Seite, legte die rechte Hand ans Ohr und formte damit einen Trichter. »Wir können Sie nicht hören.«
Lizzy fragte sich, ob sie sich in irgend so einer dämlichen Realityshow mit versteckter Kamera befand. Der Typ war völlig übergeschnappt. »Ja«, sagte sie etwas lauter, und ärgerte sich darüber, dass der Kerl die Frechheit besessen hatte, sie aufzurufen. »Ich möchte sämtliche Tricks lernen, wie man Müdigkeit mit Sport bekämpft«, sagte sie so laut, dass es jeder im Saal hören konnte. »Die drei großen Caffè Latte mit drei Schuss Espresso reichen mir nämlich längst nicht mehr.«
Ein paar Leute lachten, obwohl sie das mit ihrer Bemerkung eigentlich nicht beabsichtigt hatte.
Melbourne trat wieder an sein Rednerpult. »Michelangelo hat einmal gesagt: ›Wenn die Leute nur wüssten, wie hart ich an meinen Meisterwerken gearbeitet habe, würden sie sie nicht mehr so toll finden.‹«
Lizzy fragte sich, was das mit dem Kampf gegen die Müdigkeit zu tun hatte. Verglich er sich etwa mit Michelangelo?
Gott bewahre!
Der Montag konnte dieses Mal nicht schnell genug kommen. Lizzys Wochenende mit dem Fitnessguru hatte sich nicht wie achtundvierzigStunden, sondern wie ein ganzes Leben angefühlt. Als sie dann am Sonntagabend auf schnellstem Weg nach Hause gefahren war, stellte sich heraus, dass Jared einen auswärtigen Einsatz hatte. Den Gedanken, mit Jared auf dem Sofa zu kuscheln, sich gemeinsam einen Liebesfilm anzusehen und den Abend mit aufregendem Sex ausklingen zu lassen, konnte sie sich abschminken. So ein lausiges Wochenende hatte sie schon lange nicht mehr gehabt.
Lizzy ließ ihren Blick über den Parkplatz schweifen und hielt nach ihrer Schwester Ausschau. Wann immer es sich zeitlich einrichten ließ, traf sie sich mit Cathy zum Mittagessen. Ihre Schwester hatte sich offenbar verspätet, also nutzte Lizzy die Wartezeit im Auto, um noch einmal Carol Fullertons Akte durchzusehen.
Ruth Fullerton zahlte ihr für das Auffinden ihrer Tochter kein üppiges Honorar, aber Lizzy hätte den Auftrag sogar kostenlos übernommen, wenn es nicht anders gegangen wäre.
Die arme Frau lag nämlich im Sterben. Da ihr nicht mehr viel Zeit blieb, wollte sie sich ein für alle Mal Klarheit darüber verschaffen, was mit ihrer Tochter geschehen war.
Letzte Woche hatte Detective Kent Roth Lizzy gestattet, sich die Fullerton-Akte anzusehen und Notizen zu machen. Unmittelbar nach Carols Verschwinden hatten sich die Ermittler auf mindestens zwei Personen konzentriert. Den ersten vermeintlichen Durchbruch verdankten sie einem anonymen Anrufer, der ihnen mitteilte, dass Edward Bishop, ein Nachbar der Fullertons, einmal wegen der beinahe tödlich ausgegangenen Vergewaltigung eines jungen Mädchens im Gefängnis gesessen hatte. Als die Ermittler den Mann vernehmen wollten, beteuerte er seine Unschuld und weigerte sich, mit ihnen zu reden.
Ein weiterer Verdächtiger war ein Mitschüler von Carol. Ihre Freundinnen sagten aus, der Junge sei in sie verliebt
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