Schlecht aufgelegt (German Edition)
Tochter war online. Obwohl er es falsch fand, dass Luna mit ihren gerade mal fünf Jahren bereits ein eigenes Handy besaß, hatte er ihr eine SMS geschickt und, als ihm eingefallen war, dass sie die ja noch gar nicht lesen geschweige denn beantworten konnte, ihrer Mutter eine weitere hinterher. Er hatte sich zu einer festen Uhrzeit verabreden wollen, aber Marina hatte nicht zurückgeschrieben. Umso erleichterter war er, dass Luna jetzt tatsächlich da saß, irgendwo in Barcelona, in einer Wohnung, die er noch nie betreten hatte, dass sie in die kleine Webcam schaute und ihm von seinem Bildschirm aus zulächelte. Das Bild ruckelte so gut wie gar nicht, die Auflösung war ideal, er konnte sein Mädchen so deutlich erkennen, als säße sie jetzt tatsächlich hier bei ihm, in Berlin. Luna sah älter aus als fünf, zumindest für ihn, dessen abgespeichertes Bild seiner Tochter nie dem Ist-Zustand entsprach. Sie hatte die dunklen Locken ihrer Mutter, aber die Gesichtsform, die Augen und die Mundpartie ihres Vaters. Sie zappelte ein wenig, still sitzen fiel ihr schwer, war ihr immer schon schwergefallen.
«Hallo, Luna», sagte Paul und kämpfte mit Rührung, Freude und Trauer gleichzeitig, die sich zu einem unangenehmen Patt vermengten. «Wie geht es dir?»
«Gut», sagte sie. «Wann kommst du?»
«Bald», sagte er, obwohl er überhaupt keine Pläne in dieser Richtung hatte und wusste, dass es auf erbitterten Widerstand stoßen würde, wenn er auch nur die spanische Landesgrenze übertrat.
«Super», sagte sie und klatschte in die Hände. Konnte es sein, dass sie langsam einen spanischen Akzent bekam? Na ja, klar, ließ sich ja nicht vermeiden. Aber so schnell?
«Du kommst bald in die Schule», sagte er.
«Ich weiß», sagte sie und streckte ihren Zeigefinger in Richtung der Kamera, weil das einen lustigen Fischaugen-Effekt hatte und der Finger dadurch in dem kleinen Fenster, in dem sie sich selbst sah, riesig wurde.
«Freust du dich?», fragte Paul. Wieso hatte er eigentlich keine bessere Gesprächsführung? Darin sollte er doch eigentlich geübt sein.
«Jaaa», sagte Luna und fing tatsächlich fühlbar an, sich zu langweilen.
«Mir geht’s auch gut», sagte Paul und spielte einen Augenblick mit dem Gedanken, Luna von der Leiche und dem Kommissar zu erzählen. Das hätte sie auf jeden Fall interessiert, da war er sicher, da hätte ihr Gespräch eine andere Qualität bekommen. Er ließ es dann aber doch bleiben.
«Super», sagte Luna und bohrte mit dem Finger in der Nase.
«Ja», sagte Paul. «Nicht in der Nase bohren, Luna.»
«Doch, Papa.»
Luna straffte sich.
«Weißt du was, Papa? Mama hat einen neuen Freund», sagte sie.
«Luna!», hörte man in diesem Moment eine erwachsene weibliche Stimme im Hintergrund ausrufen.
«Ach», sagte Paul.
«Ja», fuhr Luna fort. «Der ist zwar nicht du. Aber total nett. Der heißt Javier. Und der ist extra mal eben rausgegangen, damit wir bildtelefonieren können.»
«Ach», sagte Paul.
Ein ebenso dunkelhaariger, aber deutlich größerer Lockenkopf schob sich ins Bild. Pauls Herz sprang in Richtung Unterkiefer.
«Hallo, Paul», sagte Marina mit ihrem schweren, spanischen Akzent und erröteten Wangen. «Tut mir leid, dass du das auf diese Weise erfahren musst.»
«Das ist völlig in Ordnung», sagte Paul und spürte nichtsdestotrotz, wie eine schwer kontrollierbare Wut in ihm aufkam.
«Ach, wirklich?», fragte Marina erleichtert. Sie sah hübsch aus, ihre dunklen Kulleraugen hatten dieses Leuchten, an das er sich noch gut erinnerte, aus ihrer Anfangszeit, vor Lunas Geburt.
«Natürlich», sagte Paul bitter. «Wie hätte denn eine bessere Weise auch aussehen sollen? Ein lieber Brief? Eine nette SMS? Ein schneller Anruf zwischendurch? Wir reden ja eh nie miteinander. Ich erreiche euch kaum. Meine Tochter hat schon fast einen spanischen Akzent, und ich weiß nichts über sie. Warum dann über ihre Mutter?»
«Luna, geh spielen.» Marina schob ihre Tochter vom Stuhl. Luna protestierte kurz, dann verschwand sie irgendwo in einem Hintergrund, der für Paul unerreichbar war.
«Okay, kotz dich aus», forderte Marina ihn auf und verschränkte die Arme vor der Brust. «Das kannst du doch so gut.»
«Ich will mich gar nicht auskotzen», erwiderte Paul und musste aufpassen, nicht loszubrüllen. «Warum denn auskotzen? Gegen wen denn? Gegen einen Computer? Das bringt doch gar nichts, ist doch alles super, jeder so, wie er kann, ich reg mich gar nicht auf, denn wenn ich mich
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