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Schlehenherz

Schlehenherz

Titel: Schlehenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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Gefühl hatte ich jetzt bei Tills Griff, der fest und warm meine Hand umschloss. Ich genoss es, wusste aber gleichzeitig vor Nervosität nicht, wo ich hinsehen sollte.
    »Der Matschiato«, tönte plötzlich eine laute Stimme neben meinem linken Ohr und eine Tasse mit einer Milchhaube, die wie eine weiße Wolke über den oberen Rand quoll, wurde vor mir abgestellt. Noch ehe ich aus meiner Starre erwachte und »Danke« sagen konnte, war die dickliche Bedienung schon weitergeeilt.
    Der Zauber war gebrochen. Till zog seine Hand weg, ich griff fahrig nach dem Zuckerstreuer und schüttete mir aus lauter Hast eine viel zu große Menge in die kleine Tasse. Jetzt würde der »Milchkaffee« schmecken wie pappsüße Kaffeeschokolade aus dem Supermarkt-Billigregal. Ich trank einen Schluck und verzog das Gesicht.
    Ein leises Prusten ließ mich den Kopf heben und direkt in Tills Grinsen blicken: »Na, eine Überdosis Zucker für deinen ›Matschiato‹ erwischt?«, witzelte er und ich konnte nicht anders als mitlachen.
    Till mit Nessie auf dem Rasen des Stadtparks, Till mit Vio bei der Schulparty – das alles schien auf einmal weit weg zu sein oder vielleicht hatte es ja auch nie stattgefunden.
    Dass ich eigentlich nur zu dem Treffen mit Till gekommen war, weil ich etwas herausfinden wollte, hatte ich in diesem Moment irgendwie vergessen. Alles, was zählte,war, dass Till in diesem Moment mit mir hier saß und wir zusammen lachten. Plötzlich schien alles möglich, so als könnte ich auf den Tisch steigen – und einfach losfliegen. Mutig geworden grinste ich Till an.
    »Und? Was machst du heute noch so?«, fragte ich mit einer etwas zu hohen Stimme, aber immerhin brachte ich einen vollständigen Satz heraus.
    »Kommt ganz drauf an …«, meinte Till und heftete seine dunklen Augen wie Saugnäpfe auf mein Gesicht.
    In meiner übermütigen Stimmung machte mir sein direkter Blick aber nichts mehr aus. Im Gegenteil, ich fing an, die Sache zu genießen. Plötzlich wollte ich raus hier, weg von den vielen Leuten und dem Lärm um uns herum. Ich fischte fünf Euro aus meiner Tasche und legte sie auf den Tisch. Dann schob ich meinen Stuhl zurück und stand auf.
    »Los, lass uns gehen«, sagte ich und schleuderte meine roten Haare nach hinten, während ich in meine – Vios – Jacke schlüpfte. Für den Bruchteil einer Sekunde ging ein Schatten über Tills Gesicht, als hätte ihn etwas Dunkles, Unsichtbares gestreift.
    Aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein, denn gleich darauf sagte er mit seinem unwiderstehlichen Till-Grinsen: »Zu Befehl …!«
    Durch das Leder der Jacke hindurch spürte ich seine Hand auf meinem Rücken und wie er mich im Slalom durch die eng stehenden Tische nach draußen lotste.

    Schweigend liefen wir nebeneinander her durch das bunte Laub. Mein Kopf war leer gefegt, ich dachte an nichts, spürte nur Tills Nähe. Irgendwo in einer Ecke meines Bewusstseins saß der vage Gedanke, dass ich neben dem Jungen ging, der mich bisher links liegen lassen hatte. Doch ich drängte die Frage, wieso Till sich jetzt auf einmal für mich interessierte, weg und konzentrierte mich nur darauf, den Moment zu genießen und die Tatsache, dass sein Arm nur zehn Zentimeter von meinem entfernt war …
    »Sag mal, wo gehen wir eigentlich hin?«
    Tills Stimme beförderte mich wieder ins Hier und Jetzt. Schlagartig wurde mir bewusst, dass ich automatisch den Weg stadtauswärts eingeschlagen hatte – zum Moor und somit zum Hochstand. »Unserem« Hochstand.
    Als hätte jemand bei mir eine Bremse gezogen, blieb ich stehen. Was machte ich da eigentlich? Wollte ich allen Ernstes mit Till dorthin gehen, wo Vios und mein Rückzugsort gewesen war? Mich auf diese Weise an Vio für ihren Flirt mit Till auf der Schulparty rächen? Indem ich ausgerechnet dem Jungen, der uns am Abend vor Vios Tod unversöhnt auseinandergehen ließ, unseren Geheimplatz preisgab? Ich stand wie angewurzelt da und wusste nicht, was ich sagen sollte. Hilflos blickte ich Till an. Doch ehe ich den Mund aufbekam, um irgendeine Ausrede zu fabrizieren, verzog sich sein Mund zu einem wissenden Lächeln.
    »Ah, verstehe – du wolltest einfach ungestört sein«, meinte er. Hörte ich da einen selbstgefälligen Unterton in seiner Stimme?
    »Nein, ich …«, fing ich an, doch Till beugte sich zu mir und nahm mein Gesicht in beide Hände.
    Als seine Lippen meine berührten, schloss ich die Augen. Till schmeckte nach Kaffee und Zimt und einen Moment lang vergaß ich alles um

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