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Schlehenherz

Schlehenherz

Titel: Schlehenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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zuckte unmerklich zusammen. Wusste sie etwa von der Sache im Moor? Hatte sie vielleicht in der Schule Nessie getroffen und die hatte ausgepackt?
    Ich musste meine Mutter wohl angestarrt haben wie eine erschrockene Eule, denn sie verzog gequält das Gesicht: »Oh Gott, ich hab’s befürchtet. Verflixt, Lila, ich dachte, du wärst verantwortungsvoller. Du bist fünfzehn! Das ist doch viel zu jung …!«
    Ich wurde sauer. Natürlich war ich noch zu jung zum Sterben. Was dachte meine Mutter? Dass ich mich gerne von einem Verrückten abmurksen ließ? Aber sie fuhr unbeirrt fort: »Wir haben doch darüber geredet. Du weißt, wie man verhütet. Also warum …« Sie brach ab und machte eine hilflose Geste.
    Da fiel bei mir der Groschen und mir klappte der Unterkiefer herunter. Ich konnte nur stottern: »Wie jetzt – du denkst, ich bin schwanger ?«
    Meine Mutter guckte irritiert: »Naja, ich bin nicht blind, weißt du. So aufgebrezelt, wie du neulich aus dem Haus gegangen bist … Da hast du dich doch garantiert mit einem Jungen getroffen. Und jetzt wird dir aus heiterem Himmel schlecht und du kippst um. Da hab ich natürlich angenommen, dass …«
    Sie verstummte kurz und setzte dann vorsichtig nach: »Also hab ich mich geirrt?«
    Ich konnte nur fassungslos den Kopf schütteln. Meine Mutter machte sich Sorgen um meine Unschuld , dabei war ich drauf und dran mein Leben zu verlieren. Das war derart absurd, dass ich lachen musste. Meine Mutter blickte mich besorgt an, und ich merkte, dass es wohl eher wie ein Schluchzen klang.
    Daher riss ich mich zusammen und murmelte was von »Pubertät« und »war wohl alles ein bisschen viel heute«.
    Beruhigend strich sie mir übers Haar und verordnete mir mütterlich streng jetzt erst mal zu schlafen, danach ginge es mir bestimmt besser. Ich war völlig erschöpft und hatte nicht die Kraft, zu widersprechen. Also nickte ich nur und dachte: Wenn du wüsstest …
    Als sie rausgegangen war, schloss ich die Augen. Zu gerne wäre ich wie Dornröschen einfach eingeschlafen – beschützt von einer hohen Dornenhecke, die niemand durchdringen konnte – und erst in hundert Jahren wieder aufgewacht.

    Es war dunkel um mich herum. Und still. Nein, nicht ganz. Ich konnte meinen Atem hören. Laut. Zu laut. Er dröhnte in meinen Ohren. Ich wollte nach dem Lichtschalter meiner Nachttischlampe greifen, doch meine Hand stieß an etwas Hartes. Ich tastete herum, doch keine zwei Zentimeter neben meinen Schultern waren Wände. Genau wie über mir. Rundherum stießen meine Finger an glatte Flächen. Aus Holz. Als läge ich in einem Kasten. Und da begriff ich: Es war ein Sarg. Mein Puls galoppierte los, mein Herzschlag dröhnte wie eine Trommel.
    Offenbar dachten meine Eltern, ich wäre tot. Aber das stimmte nicht, ich war am Leben! Ich beschloss zu kämpfen. Mit den Fingerknöcheln klopfte ich gegen den geschlossenen Deckel, der sich knapp über meinem Gesicht wölbte, doch das Pochen klang dumpf und leise in der absoluten Schwärze. Ich rief nach Hilfe, doch meine Stimme war selbst für mich kaum hörbar. Ein dünner Schrei, kläglich wie der eines neugeborenen Kätzchens.
    Ich versuchte den Deckel zu öffnen. Auf dem Rücken liegend stemmte ich meine Arme mit aller Kraft nach oben, doch die schwere Platte rührte sich keinen Millimeter. Dabegann ich zu kratzen. Mit den Fingernägeln schabte ich über die glatte Fläche. Ich war nicht bereit aufzugeben, bis ich wenigstens ein kleines Loch in den Deckel geschabt hätte, damit mich jemand schreien hörte … Meine Finger arbeiteten sich durch faseriges Holz. Und dann durchstieß meine Faust den Sargdeckel. Ein Gefühl des Triumphes und der Erleichterung durchströmte meinen Körper wie frisches, klares Wasser. Nun würde ich hier herauskommen, bestimmt wäre ich bald frei … In dem Moment begann etwas auf meinen Brustkorb zu drücken. Durch das Loch im Deckel rieselten schwere, dunkle Erdbrocken herein. Friedhofserde. Ich lag bereits im Grab, tief unten, wo nur Schwärze war – und Tod. Das Gewicht auf meiner Brust wurde immer erdrückender, ich schwitzte und bekam keine Luft mehr. Ich würde sterben – lebendig begraben …

    Schreiend fuhr ich hoch. Wie durch Watte hörte ich einen Plumps. Das Gewicht auf meinem Brustkorb und damit auch das panische Gefühl zu ersticken ließen nach. Dafür ertönte jämmerliches Geheul: Julius saß vor meinem Bett auf seinem Hinterteil und weinte, dass ihm die Tränen beinahe waagrecht aus den Augen spritzten. Ich

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