Schlehenherz
in einer alternativ angehauchten Gruppe für Jungpolitiker zu engagieren. Ich hatte momentan wahrlich andere Probleme als die globale Erwärmung und ein immer größer werdendes Ozonloch.
Trotzdem riss ich mich zusammen und murmelte: »Ich hab im Moment ziemlich viel für die Schule zu tun. Vielleicht guck ich mir nach dem Halbjahreszeugnis mal Ihren Prospekt an …«
Meine Mutter und der Grünen-Politiker tauschten ein Nicken, wie ein geheimes Zeichen, das ich nicht verstand. Dann räusperte sich der Vollbart: »Elina … Ich darf Sie doch so nennen? Also, Ihre Mutter hat mich angerufen, weil sie sich Sorgen macht«, sagte er mit sonorer Stimme und lächelte so gütig, als hätte er gerade an der Küste Kanadas ein Robbenbaby vor dem Knüppel eines Pelzjägers bewahrt.
Ich kapierte immer noch nicht. Wenn meine Mutter sich Sorgen um die Umwelt machte, sollte sie spenden oder selber dem Verein von diesem Friedrichs beitreten. Mein Fall war der nicht. Er hatte so was im Blick, etwas Penetrantes, wie Saugnäpfe, die an einer Scheibe kleben bleiben und die man nicht mehr abkriegt. Ich konnte ihn spontan nicht leiden, aber das war nicht mein Problem – dachte ich. Bis er den Mund aufmachte und ansetzte: »Ich bin Psychologe mit Schwerpunkt Jugendpsychologie …«
Den Rest kriegte ich nicht mehr mit. In meinen Ohren begann es zu rauschen. Meine Mutter hatte einen Seelenklempner auf mich angesetzt? Ohne mein Wissen? Warum tat sie so was?
Diese Fragen schossen mir durch den Kopf wie kleine, schnelle Fische durchs Aquarium. Währenddessen redete er weiter, aber ich hörte nicht zu. Meine Hände wurden klamm, als mir aufging, dass meine Mutter mich offenbar für verrückt hielt. Sonst hätte sie nicht diesen Psychofritzen zu Hilfe gerufen – ihn sogar hierher, nach Hause, bestellt.
Schlagartig wurde mir übel: Nicht nur wegen des Verrats, den sie beging, sondern auch wegen der Meinung, die sie von mir hatte. Nicht auszudenken, wie ihre Reaktion gewesen wäre, wenn ich ihr von dem Maskenmann im Moor erzählt hätte. Wahrscheinlich wäre ich mit Zwangsjacke und Blaulicht in die nächste Klapse eingefahren, dachte ich bitter. Ich funkelte meine Mutter an: »Sag mal, geht’s noch? «
»Lila, jetzt beruhige dich. Ich mache mir einfach Gedanken. Du bist nervös, überreizt – und du hast Albträume. Da dachte ich, wir fragen mal jemanden, der sich auskennt …«, sagte meine Mutter, aber ich konnte ihrer Stimme anhören, dass sie nun doch ein schlechtes Gewissen hatte.
»Ich. Bin. Okay. Ist das angekommen?«, stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen raus.
Ich war so wütend, dass ich am liebsten dem Vollbartträger den Teebecher an den Kopf geworfen hätte. Der saß völlig relaxt auf dem Sofa und lächelte wie der Nikolaus, nachdem ihm Klein-Doofi ein stümperhaftes Gedicht vorgetragen hat.
»Niemand zweifelt daran, dass Sie okay sind, Elina«, sagte er und bemühte sich, möglichst kumpelhaft zu klingen, ehe er im Plauderton, als würden wir uns schon ewig kennen und mal eben zusammen im Eiscafé sitzen, fortfuhr: »Ihre Mutter hat mir erzählt, dass sie in der Schule ohnmächtig geworden sind. Wir denken, dass irgendetwas Sie vielleicht belastet …«
Ich starrte ihn an. »Wir denken?« Wer war »wir«? Er und meine Mutter? Vielleicht auch mein Vater? Hatten sich alle hinter meinem Rücken gegen mich verschworen?
»Ich habe erfahren, dass vor Kurzem Ihre Freundin umgekommen ist …«, bohrte Dr. Strickpulli weiter.
Jetzt reichte es. Niemand, auch kein Psychologe, hatte das Recht, mich wegen Vios Tod auszuquetschen. Ich schenkte ihm einen – wie ich hoffte – vernichtenden Blick: »Das hat nichts damit zu tun, dass ich in der Schule umgekippt bin. Ich habe mich mit Vios Tod abgefunden, in Ordnung?«
»Aber Lila, das stimmt doch nicht! Erst neulich hat diese Kommissarin angerufen und mir erzählt, dass du grundlos einen Mitschüler verdächtigst …«, rutschte meiner Mutter heraus, ehe sie ihren Fehler bemerkte und hastig abbrach.
Wie von einem Peitschenhieb getroffen fuhr ich herum und starrte sie an. Jetzt war mir alles klar: Ich war der Kommissarin mit meinen hartnäckigen Fragen und Verdächtigungen lästig geworden. Weil ich die Einzige war, die bemerkte, dass die Kripo nicht genügend unternahm, um Vios Tod aufzuklären. Also hatte diese Monika Held meiner Mutter eingeredet, dass ich langsam durchdrehte. Und für die war mein Verhalten in den vergangenen Tagen natürlich eine Bestätigung.
Und
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