Schlehenherz
bisher immer etwas gefunden. Jeder machte Fehler.
»Ich krieg dich«, dachte Monika mit grimmiger Genugtuung. »Die Schlinge zieht sich zu und dann krieg ich dich, du Mistkerl!«
Ich kauerte in meinem abgeschabten Lieblingssessel und hatte mich in einen Pulli von Vio gekuschelt, der unter den vielen Klamotten war, die ihre Mutter mir geschenkt hatte. Er kratzte ein bisschen im Nacken, aber das störte mich nicht, denn er roch immer noch nach Vio. Das machte mich zwar traurig, weil ich ihren Verlust wie ein großes, dunkles Loch in meinem Herzen spürte, aber es war auch tröstlich. Ich fühlte mich ihr in diesem Moment sehr nahe und es war, als würde mich ihre Aura umgeben. Für wenige Momente fühlte ich mich beschützt.
Da klingelte es an der Tür. Ehe mein Verstand die Bewegung überhaupt wahrnahm, war ich schon aus dem Sessel raus und schloss meine Zimmertüre ab. Schwer atmend starrte ich auf den Schlüssel in meiner zitternden Hand.Ich hatte instinktiv gehandelt, wie ein Tier, das beim leisesten Geräusch den Tod fürchtet und flieht.
Leise hörte ich die Stimme meiner Mutter. Dann fiel die Haustür wieder ins Schloss. Schritte, dann Stille. Ich stieß die Luft, die ich ein paar angespannte Sekunden angehalten hatte, mit einem tiefen Seufzer aus. Wahrscheinlich hatte lediglich einer dieser Zeitungsverkäufer, die Zeugen Jehovas oder der Briefträger geklingelt. Und ich machte mir ins Hemd.
Dachte ich allen Ernstes, er würde klingeln, ehe er mich umbrachte? Vielleicht meiner Mutter noch einen Strauß Blumen mitbringen? Es musste der Galgenhumor sein, denn mir entschlüpfte ein schrilles Kichern, doch als ich mir den Pulloverärmel vors Gesicht hielt, um es zu dämpfen, stieg mir Vios Duft in die Nase – und ich brach in Tränen aus. Ich vermisste sie schrecklich, aber ich wollte nicht dort sein, wo sie jetzt war – ich wollte leben.
Eine halbe Stunde später hatte ich mich wieder gefangen und auch meine vom Weinen geschwollenen Augen waren nur noch leicht gerötet. Nicht dass meine Mutter noch annahm, ich wäre unter die Kiffer gegangen. Ich wollte zu ihr und mit ihr reden.
Nach vielem Hin- und Herüberlegen hatte ich beschlossen, nichts mehr zu verschweigen. Weder den Maskenmann im Moor noch meine Angst, er würde mich so lange verfolgen, bis er mich kriegte. Zwar würde sie mit großer Wahrscheinlichkeit erst mal ausflippen und mir Vorwürfe machen, aber letztlich wusste sie bestimmt, was zu tun war.
Durch die geschlossene Wohnzimmertür drang das leise Gemurmel einer Männerstimme. Hörte sie also wieder ihren Intellektuellen-Radiosender, der stundenlang Diskussionen und Beiträge brachte, bei denen sogar mein Vater regelmäßig einen Gähnkrampf kriegte? Sie stand allerdings voll auf diese Gesprächsrunden, aber darauf konnte ich jetzt keine Rücksicht nehmen. Ich riss die Tür auf – und starrte in das Gesicht eines fremden Mannes, der auf unserem Sofa saß. Starr wie ein Reh im Scheinwerferlicht eines entgegenkommenden Autos blieb ich in der Tür stehen: Wer war das und was tat er hier?
»Komm ruhig rein, Lila. Das ist Herr Friedrichs«, hörte ich die Stimme meiner Mutter.
Erst jetzt sah ich, dass sie im Durchgang zur Küche stand und ein Tablett mit Tassen und einer Kanne Tee balancierte. Offenbar hatte sie den Besuch erwartet. Ich entspannte mich etwas, auch wenn ich vorsichtshalber nicht näherkam.
»Hallo Elina, freut mich, Sie kennenzulernen«, sagte der Fremde.
Ich betrachtete ihn misstrauisch: Mitte Fünfzig, grauer Vollbart – ich konnte Bärte nicht leiden –, Halbglatze und eine kleine, runde Harry-Potter-Brille, die bei dem Mann eher albern als klug aussah. Dazu trug er beigefarbene Breitcordhosen, die mein Vater wahrscheinlich nicht mal unter Folter anziehen würde, und einen grauen Wollpullover, dessen bloßer Anblick mir Juckreiz verursachte. Der ganze Typ strahlte etwas von »Mitglied-bei-Greenpeace-und-im-Tierschutzverein« samt »Einkauf nur im ökologisch korrekten Bioladen« aus. Ich fragte mich, ob meine Mutter neuerdings bei den Grünen mitmachte.
»Sorry, ich komme später nochmal«, murmelte ich und wollte mich umdrehen, doch meine Mutter stellte hastig das Teetablett ab und hielt mich zurück: »Warte, Lila. Herr Friedrichs ist eigentlich … wegen dir hier«, sagte sie undwarf einen nervösen Seitenblick zu dem Ökostrickpullover auf unserer Couch.
Och nee, bitte nicht, dachte ich genervt. Ich interessierte mich null für Politik und hatte keine Lust, mich
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