Schleich di!: ...oder Wie ich lernte, die Bayern zu lieben
überholen. Und wenn du dann die ganze Zeit hinter einem herschleichen musst, kostet des nicht nur Kraft, sondern auch Nerven.«
»Was heißt denn ›ein bisserl eng werden‹?«, wollte ich wissen. Nachdem Max den Weg heute mit dem Begriff »knackig« meiner Meinung nach vollkommen unzureichend beschrieben hatte, wollte ich lieber auf Nummer sicher gehen.
»Morgen geht’s über den Grat. Des wird dein Meisterstück. An manchen Stellen geht’s links und rechts steil runter. Aber wenn du schwindelfrei bist und dich immer schön an den Seilen und Sicherungen festhältst, is des koa Problem.«
Kein Problem? Das sah ich ein bisschen anders. Die Bilder, die sich in meinem Kopf aus den Worten »links«, »rechts«, »steil runter«, »Seile« und »Sicherungen« formten, waren nicht schön. Alles andere als kein Problem. Am Nebentisch fegte ein Mann mit einer ungeschickten Handbewegung sein Buch vom Tisch, das mir genau vor die Füße fiel. Ich bückte mich, um es aufzuheben. Der Titel lautete »Sturz ins Leere«. Geschrieben von einem gewissen Joe Simpson. Wenn das mal kein böses Omen war!
»Ich glaub, ich nehm lieber noch ein Viertel Roten!«, sagte ich zu Max, der sich auch gleich einen mitbestellte.
»Sag mal, wieso tut man sich das hier eigentlich freiwillig an? Das mit dem Wandern in den Bergen. Du kannst doch nicht ehrlich behaupten, dass dir die Schinderei beim Bergsteigen Spaß macht!«
»Ja mei, a Menge Leit ham übers Wandern gescheid geschrieben. Dass sie sich dabei selbst finden, dass die Grenz- oder Todeserfahrungen ihre Persönlichkeit gestärkt hätten. Mei, i glaub, dass da scho immer auch ein paar Masochisten in den Bergen unterwegs sind, denen die Plackerei Spaß macht, die des brauchen. Als i als Teenager mit meinen Eltern gewandert bin, hab i a immer gflucht. Ich wollt viel lieber mit meinen Freunden an oanen See fahren. Oder an der Isar zelten. Mei, und heute weiß ich, dass es bergauf a bisserl anstrengend ist, des gehört halt zum Wandern dazu, woaßt? Und des wird sich auch nie ändern. Das Einzige, was sich geändert hat, is mei Einstellung dazu. Woaßt, was i in den Bergen gelernt hab? Weiterzumachen, obwohl’s anstrengend ist. Anstatt seine Zeit damit zu verplempern, herumzuweinen … aber bei dir ist des natürlich was anderes … als Jammerossi hast des im Blut.«
»Das muss ich mir von einem Grantler nicht sagen lassen.«
»Ha, des Granteln is doch ganz woas andres. Des is doch koa Jammern.«
»Wieso denn nicht?«
»Der Bruno Jonas hat einmal den schönen Satz geschrieben: ›Der Grant ist eine Prise Ärger, die in kleinen Dosen zu sich genommen belebt und erfrischt.‹ Nur wenn man eine Überdosis erwischt, dann wird’s gefährlich. Des kann man mit deinem Herumjammern nicht vergleichen. Ein Grantler bedauert ja auch nicht in erster Linie sich selbst, der ist vor allem unzufrieden mit der Gesamtsituation.« Mir schwirrte der Kopf. Ich war längst nicht mehr in der Lage, Max zu folgen.
»Ich glaub, es wird langsam Zeit, ins Bett zu gehen. Ich könnte nämlich ganz gut eine Überdosis Schlaf gebrauchen.«
Wir teilten unser Lager mit mehr als einem Dutzend anderer Wanderer. Der Raum war vollgestellt mit Doppelstockbetten. Im Grunde genommen ist so ein Matratzenlager wie ein Schlafraum einer Jugendherberge. Nur ohne Teenager und laute Musik aus einem CD -Player. Gott sei Dank hatten wir Betten oben erwischt. Max und ich verkrochen uns in unseren Schlafsäcken. Nach einer halben Stunde trudelten auch die anderen ein. Ich war beinahe schon eingeschlafen. Doch durch das Klackern beim ständigen Auf- und Zumachen der Rucksäcke und die surrenden Geräusche der Reißverschlüsse war an Schlaf nicht mehr zu denken. Jemand stieß in der Dunkelheit seine Wasserflasche um. Das Metall schepperte auf dem Boden. Nach einer Viertelstunde hatten alle endlich fertig geräumt und sich hingelegt. Es herrschte Ruhe. Für fünf Minuten. Dann begann das große Schnarchen.
»Ich hab’s dir ja gesagt«, murmelte Max. »Oaner schnarcht immer.«
Leider waren es drei Schnarcher. Einer von ihnen direkt unter uns. Mit seinem leichten Rasseln war er der harmloseste. Aus dem Eck rechts von mir war ein tiefes, gleichmäßiges Grunzen mehr als deutlich zu vernehmen. Der dritte hatte ganz offensichtlich den Salsa im Blut. Sein Schnarchen war geprägt von ständigen Rhythmuswechseln. Zusammen ergab das eine kleine Sinfonie des Grauens, die nur gestört wurde, wenn einer der Schnarcher von seinem Nebenmann
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