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Schleichendes Gift

Schleichendes Gift

Titel: Schleichendes Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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Geld, um es so bequem einzurichten, wie sie es sich wünschte.
    Die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen, darum ging es. Sam wäre ganz nett zum Spielen, aber sie konnte gut ohne ihn zurechtkommen. Sie ging barfuß durch die Dachwohnung und zog im Gehen die Kleider aus. Dann auf das große Bett, die Hand automatisch auf der Fernbedienung. Das Heimkino schaltete sich ein, der DVD-Spieler begann zu laufen. Auf dem Bildschirm steckte eine Frau einen Dildo in einen Mann, während dieser einer anderen Frau sein Glied in den Mund schob. Ihr Ächzen und Stöhnen ertönte in der klinisch reinen Luft von Staceys Wohnung. Sie wühlte unter der Decke, bis sie ihren Vibrator fand, und spreizte die Beine.
    Sie war bereit, ihren Spaß zu haben.

    Die Stroboskope pulsierten, und die Musik dröhnte. Sam kam sich wie mitten in einem Unwetter vor, als er mit den Füßen hin und her rutschte, um den Takt zu halten. Er bewegte sich geschickt, denn Tanzen war die einzige Sprache, in der er alles ausdrücken durfte, was er normalerweise streng unter Kontrolle hielt. Und heute Abend war eine dieser Gelegenheiten, bei der er den vergangenen Tag wirklich abschütteln wollte.
    Die miese Fahrt, den ungerechten Rüffel von Jordan, die Demütigung, von ihrem Verdächtigen eingesperrt zu werden, das elende Herumsitzen, bis Butler die zahnärztliche Notversorgung hinter sich hatte – der heutige Tag war wahrhaftig nichts, woran man sich gern erinnerte.
    Während er mit Jordan und Butler von Newcastle zurückfuhr, betete er, dass sie nicht sofort mit der Vernehmung beginnen wollte. Gott sei Dank kannte Butler seine Rechte und verlangte einen Pflichtverteidiger. Und das Erste, worauf sein Anwalt bestand, waren acht Stunden Schlaf. Jordan hatte Sam gehen lassen, und innerhalb von einer Stunde war er auf dem Tanzboden, im richtigen Outfit für diesen Spaß, um großspurig aufzutreten wie ein Pfau.
    In seiner Jugend war ihm das Tanzen fast immer genug gewesen. Er konnte sich nicht erinnern, dass Musik ihn jemals nicht mitgerissen und motiviert hatte, sich zu bewegen. Mit den Füßen den Takt zu schlagen, mit den Knien zu wippen, die Hüften zu schwingen, die Schultern zu wiegen, mit den Fingern zu schnippen. Es hatte seine Eltern verwirrt, die beide nur bei besonderen Gelegenheiten tanzten. Seine Grundschullehrerin hatte vorgeschlagen, dass er Tanzunterricht nehmen solle, aber sein Vater war dagegen gewesen, weil er es unmännlich fand. Sam war es egal, er tanzte trotzdem, wann immer er Gelegenheit hatte.
    Als Teenager entdeckte er den Knaller: Mädchen waren von einem Jungen begeistert, der gern tanzte. Jeder Junge, der sie vor Disco-Abenden mit einer Gruppe von Mädels rettete, war nach einem Blitzangriff beim Tanzen schon halb im Paradies. Für ihn als Teenager war das damals seine Fahrkarte zur Glückseligkeit.
    Dieser Tage tat es immer noch seine wunderbare Wirkung und hatte den zusätzlichen Vorteil, ihn fit zu halten. Er konnte nicht jederzeit und so oft, wie er wollte, tanzen, aber das hieß nur, dass sich noch mehr Energie aufstaute. Es war seine einzige Entspannung, und er fand es toll.
    Als die Uhr Mitternacht anzeigte, war er gerade dabei, sich vor den Mädchen in Szene zu setzen. Er trank eine halbe Flasche Mineralwasser und goss sich den Rest über den Kopf. Wissen war Macht. Aber Tanzen war herrlich.

    Am anderen Ende der Stadt lag Yousef Aziz auf dem Rücken und hatte die Finger hinter dem Kopf auf dem Kissen verschränkt, das er seit seiner Kindheit besaß und das so tröstlich seinen eigenen Geruch ausströmte. Aber heute Abend brachte ihm diese Vertrautheit nicht die übliche unterbewusste Beruhigung. Heute Abend konnte Yousef nur an das denken, was vor ihm lag. Es war seine letzte Chance, ruhig zu schlafen, allerdings wusste er, dass es nicht so kommen würde. Aber das war egal. Die letzten Wochen hatten ihn gelehrt, dass es andere Energiequellen gab.
    Auf dem anderen Bett schnarchte Raj leise vor sich hin, und seine Steppdecke hob und senkte sich bei jedem Atemzug. Selbst der Tod seines Idols konnte seine Ruhe nicht stören. Jede Nacht lag er in tiefem Schlaf, wenn Yousef zu Bett ging, und nichts schien ihn wecken zu können. Weder das Licht an der Decke noch das beharrliche Piepsen eines Gameboy, das Klimpern der Banghra-Musik oder das Rascheln von Bonbonpapierchen. Der Junge schlief, als habe er die Unschuld persönlich erfunden.
    Die Unschuld, die Yousef fraglos verloren hatte. Er hatte gelernt, die Welt mit anderen Augen zu

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