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Schleier der Traeume

Schleier der Traeume

Titel: Schleier der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Viehl
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bedeckten den Boden, und die drei Meter sechzig hohen Außenwände waren in einem matten, leicht aufgerauten Cremeweiß gestrichen, das das Licht nicht reflektierte, sondern aufnahm und an Wolken denken ließ.
    Ungewöhnliche Möbel und Stoffe zierten jede Ecke – von elfenbeinfarbenen, aus China eingeführten Seidenteppichen bis zu niedrigen Sofas und Stühlen, die wie flatternde Bänder im Wind wirken sollten. Die Farbpalette beschränkte sich auf gedämpfte Erd- und Himmelstöne, die sich in den wolkenartigen Außenwänden aufzulösen schienen, als wollten sie darin verschwinden.
    Meriden verabscheute Unordnung, und vielleicht hätte auch er sich für die Wohnung erwärmen können, wenn an den Wänden nicht Dutzende Porträts gehangen hätten, die allesamt eine farbliche Attacke auf das Auge darstellten.
    Er hatte keine Ahnung, wer die Leute waren, die Dansant gemalt hatte, doch sie gingen ihm mächtig auf die Nerven, wenn er ihnen ins Gesicht sah. Die dunklen Ölgemälde zeigten Männer und Frauen in Nebel oder Halblicht, waren in kurzen, breiten Strichen ausgeführt und schienen eher Skizzen als Gemälde zu sein. Die Rahmen waren aus kostbarem Holz oder poliertem Stahl, und Deckenstrahler betonten die prächtigen, edelsteinartigen Farben und die betörende Pinselführung.
    Die Männer sahen gut aus und die Frauen hinreißend, doch mit ihnen allen stimmte etwas nicht.
    Trotz seines eher groben Strichs hatte Dansant in jedem Porträt beunruhigende Details hervorgehoben: todbringende, silbern schillernde Augen, ein verzerrtes Engelslächeln, eine grelle Narbe. Zu den jüngsten Porträtierten gehörte ein großes, dunkelhaariges Kind mit purpurn glühenden Augen, das mal wie ein mädchenhafter Junge, mal wie ein jungenhaftes Mädchen aussah. Ein anderes Bild zeigte einen Mann, dessen Haut und Haar leicht ins Grüne stachen, als korrespondierten sie mit dem unheimlichen Ton seiner smaragdfarbenen Augen.
    Am meisten verabscheute Meriden das Bild, das er bei sich »Schlampenmadonna« nannte: eine weiß gekleidete Frau, die Dansant als Einzige im Profil gemalt hatte. Sie stand halb abgewandt da, und im Halbdunkel hinter ihr war der Umriss einer weiteren Gestalt zu erahnen, doch statt ihren geheimnisvollen Begleiter anzusehen, betrachtete sie Meriden, als wäre er ein Tropfen Schleim unterm Mikroskop. Ihre Nase war zu höckerig, ihr Blick zu scharf, als dass man sie hätte schön nennen können, doch die Farben, in denen der Franzose sie gemalt hatte, ließen sie vor Leben schimmern – vom rötlichen Licht, das durch ihre langen, kastanienbraunen Locken fiel, bis zur goldenen Wärme ihrer Haut.
    Sie strahlte wie ein Sommermittag, doch etwas an ihr ließ ihn an Gewitter bei Mitternacht denken.
    Der Küchenchef des
D’Anges
verbrachte selten mehr als ein paar Stunden in seiner Wohnung und lagerte nichts im Edelstahlkühlschrank oder in den mit Glastüren versehenen Schränken. Da Meriden nie wusste, wann er sich hierher zurückzog, hatte er sich einen eigenen Vorrat angelegt. Er nahm ein Bier aus der Kühlung und trat auf den Teakholzboden des schmalen Balkons, der die ganze Etage umgab. Von Westen aus konnte er den Himmel beobachten, wie er es oft tat und dabei die Minuten zählte, bis es allmählich Nacht wurde über der Stadt.
    Meriden hob sein Bier Richtung Kings Villa.
Prost, du Scheißkerl
.
    Der Franzose würde heute verspätet ins Restaurant kommen, dachte Meriden mit einer gewissen Befriedigung. Und wenn er käme, wäre die groß gewachsene, coole Frau, die er neu angestellt hatte, zu beschäftigt, um mit ihm zu flirten. Er vermutete, dass Rowan Dietrich schon so gut wie verliebt in Dansant war; es gab schließlich keine Frau, die ihm widerstehen konnte. Sollte er ruhig auch sie vernaschen! Meriden war nicht interessiert an einem spindeldürren Kind, dessen Augen an offene Wunden denken ließen und das einen unbewussten Todeswunsch hegte.
    Gut, gestand er sich ein, sie war schon hübsch mit ihren langen Beinen und flachen Kurven. Meriden bevorzugte eigentlich blonde und muskulöse Frauen, mit deren Körpern er spielen und in denen er versinken konnte, aber diese aufreizende schwarze Katze hatte einen Drive und eine Anmut, die etwas anderes in ihm ansprachen.
    Als sie die Treppe hinuntergerannt war, hatte er ihr folgen und sie jagen wollen. Seine Gedanken ließen ihn die Stirn runzeln, denn er wusste nicht, warum er das empfunden hatte. Sie hielt sich für taff – das sah man an ihren straffen Schultern und den

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