Schleier der Traeume
jedenfalls nicht, nachdem er die Gründe verstanden hatte. Ohne Nathans schreckliche Entscheidung wäre Dansant nur eine Sammlung Reagenzgläser und Gewebeproben in einem Labor, und die Reste seines Körpers würden dazu dienen, andere etwas Ähnliches werden zu lassen wie das, was er gewesen war.
Doch ohne Dansants Einschreiten hätte wohl auch Sean Meriden kein Leben gehabt, und Nathans heldenhafte Tat hätte nur zu einer namenlosen Leiche geführt, die in einem Armengrab verweste.
Schade, dass Sean sich daran nicht erinnerte.
Dansant wusste nicht, warum Meriden seine Wohnung betreten hatte, doch es war spät, und er musste sich rasch für die abendliche Arbeit vorbereiten. Er duschte, zog sich an und ließ den Pförtner ein Taxi rufen.
Der Portier unten, ein stiller, aber wachsamer früherer Elitesoldat, der in Afghanistan einen Arm verloren hatte, begrüßte ihn mit einem Lächeln. »’N Abend, Mr Dansant. Ihr Taxi wartet schon.«
»
Merci
, Jason.« Während er seinen Mantel anzog, sah er kurz nach draußen. »Kein Neuschnee?«
»Nein, Sir. Bis Mitternacht soll es klar und kalt bleiben und dann von Osten her Schneegestöber geben.« Jason öffnete die Haustür und begleitete ihn auf den Bürgersteig. »Meine Verlobte war ganz aus dem Häuschen, als ich ihr sagte, dass Sie uns zu Ihrer nächsten Tafelrunde eingeladen haben. Ich schätze, Ihr Restaurant ist bis weit in den Herbst hinein oder sogar bis zum nächsten Jahr ausgebucht.«
Dansants Tafelrunde – ein kostenloses Abendessen, das er einmal die Woche geladenen Gästen im
D’Anges
servierte – war bei den Gourmets der Stadt legendär. Restaurantkritiker, Feinschmecker und Küchenchefs konkurrierender Restaurants hatten immer wieder eine Einladung ergattern wollen, waren aber leer ausgegangen. Keiner von ihnen wusste, dass Dansant sehr spezielle Kriterien hatte, wer bei seiner Tafelrunde speisen durfte.
»Sie ist schon die ganze Woche auf der Suche nach einem neuen Kleid.« Der Portier klang stolz und verlegen zugleich. »Könnten Sie mir nicht einen Tipp geben, was sie tragen sollte, um nicht, äh, fehl am Platz zu wirken?«
»Ich bin sicher, dass sie, egal was sie trägt, reizend aussieht.« Dansant hatte die junge Frau – eine hübsche Rothaarige mit milchweißer Haut, die Jason oft nach der Arbeit abholen kam – schon gesehen. »Falls sie sich nicht entscheiden kann, hat sie vielleicht ein kleines Schwarzes im Schrank,
n’est-ce pas
?«
»Zwanzig«, erwiderte Jason trocken. »Mit passenden Schuhen.«
»Ich verrate Ihnen ein Geheimnis«, sagte Dansant, als Jason ihm den Wagenschlag öffnete. »Alle Amerikanerinnen mögen das kleine Schwarze, weil es ein Klassiker ist und sie gut darin aussehen. Und das wissen sie.«
Der jüngere Mann runzelte die Stirn. »Warum fragt sie mich dann immer, was sie anziehen soll?«
Dansant lächelte. »Weil es ihr bei diesen Dingen nicht um sich geht, sondern um Sie,
mon ami
.«
Im Restaurant fand er seine Crew damit beschäftigt, die Stationen für das Kochen herzurichten. Lonzo hatte die Speisenfolge, die Dansant ihm am Vorabend notiert hatte, auf die Tafel übertragen, und auch die Kellner trudelten bereits ein. Nur Rowan sah er nicht in der Küche, obwohl er sie da und dort witterte.
»Wir haben prachtvolle Miesmuscheln bekommen«, sagte der
garde-manger
, während er Knoblauch in hauchdünne Scheiben schnitt und zu Petersilie und Estragon in eine Schüssel gab, »und sollten die Vorspeisen um
moules farcies gratinées
ergänzen.«
Lonzo änderte die Speisekarte nur nach Rücksprache, doch Dansant hatte gelernt, dem Urteil seines
garde-manger
zu vertrauen. Die Mischung aus Kräutern und Knoblauch würde die Frische der Muscheln ergänzen. »
Très bien
. Wo ist Rowan?«
»Hackt im Lager Feigen für die Entenbrust.« Lonzo warf Vince, der sich eingehend mit seinen Grillrosten befasste, einen raschen Seitenblick zu. »So kommt sie uns während der Vorbereitungen nicht ins Gehege.« Er senkte die Stimme. »Sie hat sich noch immer nicht an die Abläufe der Küche gewöhnt, und ich dachte, sie kann eine Pause brauchen.«
»
Merci
, Lonzo.« Dansant inspizierte die übrigen Stationen und sprach mit den Köchen über die Speisen des Abends. Erst nachdem er mit allen geredet hatte, ging er ins Lager.
Lonzo hatte einen fahrbaren Hackklotz herbeigerollt, und Rowan saß auf einem Barhocker daneben. Zwischen den Oberschenkeln hatte sie einen Sack purpurrote Feigen, hackte sie in Längsrichtung mit etwas zu
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