Schleier der Traeume
stets etwas geballten Händen. Wie sie den Kopf in den Nacken legte, um das Kinn zu heben und ein wenig von oben herab zu blicken, wenn sie zornig war, hätte ihn ärgern sollen, machte ihn aber unglaublich an. So wie ihr Humor, der mit Zähnen und Klauen bewehrt zu sein schien.
Er hätte vorhin nicht ins Bad zurückkehren sollen; das Rauschen hatte ihm immerhin verraten, dass sie duschte. Doch wenn er ehrlich sein sollte, war er genau deswegen wieder hereingekommen. Sie würde nie erfahren, wie kurz er davor gewesen war, den Vorhang wegzureißen und zu ihr unter die Dusche zu kommen. Er hätte ihr nur zu gern den Rücken und die Brust eingeseift und sich um all die anderen Körperpartien gekümmert, die nähere Aufmerksamkeit verdienten.
Er wusste nicht mehr, wann er das letzte Mal mit einer Frau geschlafen hatte; vielleicht hatte er ja deshalb einen Steifen bekommen, der noch immer nicht abgeklungen war. Es gab ein halbes Dutzend Frauen, die er anrufen konnte, um mit ihnen eine lockere, schnelle Nummer zu schieben, und doch konnten sie ihm alle gestohlen bleiben.
Mit Rowan zu sprechen war ein Fehler gewesen. Er hätte über Dansant herausfinden können, welche Abmachung die beiden getroffen hatten. Jetzt war er der Gelackmeierte. Er konnte nicht direkt neben ihr wohnen, ohne sie zu berühren. Nicht nachdem er nun wusste, wie sie roch, wenn sie nackt war.
Na klar, brich heute Nacht in ihre Wohnung ein und vögele ihr das Hirn raus. Dann begreift sie bestimmt, dass du ihr Märchenprinz bist
.
Meriden spürte das letzte Sonnenlicht im Gesicht, trank sein Bier aus und ging wieder hinein. Er betrachtete all die reglosen Einbauten, die dezente Eleganz, die klaren Linien und wusste, dass ihm all dies – und auch Rowan – nie gehören würde. Er schleuderte die Flasche durchs Zimmer und sah sie gegen den Rahmen der Schlampenmadonna krachen.
Die letzten Biertropfen rannen wie bernsteinfarbene Tränen über das Porträt. Bestimmt handelte es sich auch dabei um eines von Dansants Opfern, doch sicher wissen würde Meriden das nie. Der Franzose wahrte seine Geheimnisse. Doch nach all ihren gemeinsamen Jahren hatte Meriden eine recht genaue Vorstellung davon, wie es ablief.
Dansant hatte Rowan nicht aus Herzensgüte angestellt oder ihr die Wohnung aus Menschenfreundlichkeit vermietet. Er begehrte sie und wollte sie dort haben, wo er sich ihrer bemächtigen und sie regelmäßig benutzen konnte. Und wenn sie ihn langweilte, würde er seinen Fluch einsetzen, ihre Erinnerungen löschen und sie auf die Straße setzen.
Meriden ging ins Schlafzimmer und blieb am Bett stehen. »Du kannst jede Frau in Manhattan haben«, murmelte er, während das Licht draußen schwand. »Jede Frau auf dieser verdammten Erde. Lass sie doch einfach in Ruhe. Sie hat um diesen Mist nicht gebeten. Und nicht um dich. Hörst du?«
Doch niemand antwortete.
8
Nicht zum ersten Mal in seinem neuen Leben roch Dansant beim Erwachen Bier und Zorn.
Er kannte den Grund dafür. Meriden hatte vor Jahren mitunter seiner Neigung zu Einbrüchen, Bier und Wut gefrönt, doch seit ihrer Ankunft in Amerika hatte er sich deutlich beruhigt und hart daran gearbeitet, ihr Zusammenleben angenehm zu gestalten. Dansant hatte sich nie vorgemacht, Sean sei glücklich, doch er hatte vermutet, der jüngere Mann habe seinen Frieden mit ihrer Situation gemacht.
Was ist jetzt schiefgelaufen?
Er folgte dem Geruch vom Schlafzimmer durch die leere Wohnung zu einem Gemälde, unter dem braune Glasscherben lagen. Ein Splitter im Rahmen und die Bierspuren auf der Leinwand bezeugten, was geschehen war.
Er kniete nieder, sammelte die Scherben auf, entsorgte sie in der Küche und kehrte zurück, um das Porträt vorsichtig zu reinigen. Das schmale, kluge Gesicht der Frau mit dem kastanienbraunen Haar schien vor Mitleid ganz milde Züge zu bekommen.
Ob ich dir leidtäte, Chérie?
, fragte er sich, während er ihr Gesicht behutsam abtupfte.
Oder ob du dich auf seine Seite schlagen würdest?
Er verabscheute die Umstände, die ihn und Meriden zusammengebracht und in gegenseitige Abhängigkeit gezwungen hatten, aber wenn es darum ging, sich zu trennen, war er so unfähig, die Lage zu ändern, wie sein Partner. Vielleicht sogar noch mehr, weil er nichts getan hatte, um Sean mit Absicht zu verletzen oder in sein Leben einzudringen, und in diese unbequeme Partnerschaft nur gedrängt worden war, weil es keine Alternative gab. Dennoch hatte er Nathan nie vorgeworfen, was er getan hatte,
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