Schleier der Traeume
Sorge.«
Taske blickte an ihr vorbei zum Tisch der Urnhearts, wo der Ehrenwerte Harrison Urnheart III . über einer halb gelöffelten Suppe döste. »Das sehe ich.«
»Du hättest sagen sollen, dass du ins Ausland fährst.« Mimi bewegte sich ein wenig, um den Blick auf ihren über achtzigjährigen Mann zu verdecken und ihrem Nerz Gelegenheit zu geben, mehr von ihrem paillettenbesetzten Kleid und ihrem üppigen Fleisch zu zeigen, das dem Dekolleté zu entkommen suchte. »Wir hätten dich vielleicht begleitet. Wohin bist du denn gereist? Nach Paris? Oder nach Genf?«
»Ich war da und dort.« Er versuchte sich vorzustellen, wie sie mit ihm die Nebenstraßen von St. Paul und Detroit ablief oder die Nacht auf der Luftmatratze seines Lieferwagens verbrachte. Immerhin hätte der Nerz sie warm gehalten. »Richte deinem Mann doch bitte Grüße aus.«
Mimi begriff, dass sie verabschiedet worden war, doch sie hätte sich nicht den siebzehntreichsten Mann der USA geangelt, wenn sie leicht zu entmutigen gewesen wäre. »Warum kommst du nicht rüber? Harrison würde bestimmt gern alles von deiner Reise hören.«
»Vielleicht ein andermal. Morehouse …« – der Kellner trat heran – »würden Sie Mrs Urnheart und ihrem Mann bitte eine Flasche Wein aus meinem Privatvorrat bringen?«
»Selbstverständlich, Mr Taske.« Morehouse beobachtete Mimi. »Madam, darf ich Ihnen und Ihrem Mann die Liste der infrage kommenden Weine zeigen?«
»Sehr gern.« Sie schürzte ein letztes Mal die Lippen und zog mit dem Kellner ab. Als sie ihren Tisch erreichten, schrak ihr betagter Gatte aus dem Schlaf, hörte ihr und Morehouse kurz zu und redete dann in scharfem Ton mit Mimi. Sie ließ sich auf ihrem Stuhl nieder und stocherte missmutig im Salat.
Einige Männer, die rund um Taskes Tisch allein aßen, prosteten ihm wortlos zu. Im Club galt das so viel wie anderswo stehende Ovationen.
Morehouse kehrte bald zurück. »Mr Urnheart dankt Ihnen verbindlichst für den Wein und Ihre Geduld, Sir. Darf ich Ihnen Orangensaft nachschenken?«
»Nein, danke.« Taske wusste, dass seine Speisen- und Getränkewahl Kellner, die weit anspruchsvollere Bestellungen à la Champagner und Kaviar gewohnt waren, oft verblüffte. Er bezweifelte auch, dass noch ein anderes Clubmitglied in Lederhandschuhen aß oder eigene Gläser und eigenes Besteck mitbrachte. Aber Morehouse, der seit Ende der Schulzeit der britischen Oberschicht gedient hatte, verzog auch bei Taskes wunderlichsten Bestellungen keine Miene. »Eine Abendzeitung wäre –« Er unterbrach sich, weil der Kellner ihm diskret eine brandneue
Times
neben den Teller legte. »Sie sind meinem Wunsch erneut zuvorgekommen. Ich werde langsam furchtbar berechenbar, oder?«
»Nicht im Mindesten, Sir«, versicherte ihm Morehouse. »Ich glaube, bei Ihrem letzten Besuch baten Sie um USA
Today
.«
Neben seinen ausgezeichneten Manieren besaß der Kellner einen feinen Sinn für Humor, was den meisten Clubmitgliedern glatt entging. »Morehouse, Ihnen ist hoffentlich klar, dass ich eines Tages versuchen werde, Sie abzuwerben«, warnte ihn Taske.
Der Kellner warf einen diskreten Blick auf die Tische ringsum. »Sie brauchen nur ein Wort zu sagen, Mr Taske, und ich schreibe sofort meine Kündigung.«
»Dann tun Sie das.« Samuel lächelte über die freudige Miene des Kellners und wandte sich seinem Essen zu. Mimi saß weiter schmollend bei ihrem Mann, doch kaum hatte Taske sein
onglet
halb verzehrt, tauchte der Geschäftsführer wieder auf. Er schwitzte sichtlich, und das war kein gutes Zeichen.
»Ich bitte sehr um Verzeihung, Mr Taske.« Er zog ein Schnupftuch aus der Tasche, tupfte sich die Stirn und bemühte sich zu lächeln. »Anscheinend sind einige für Sie bestimmte Nachrichten versehentlich im Schließfach eines anderen Clubmitglieds gelandet. Der Büroleiter und ich haben den Fehler gerade erst bemerkt –«
Taske hatte weder Zeit noch Geduld, diesem Geschwätz länger zuzuhören. »Wie viele sind ›einige‹?«
»Vierzehn, Sir.« Er zog einen langen Umschlag aus dem Jackett und legte ihn so vorsichtig auf den Tisch, als enthielte er Nitroglyzerin. »Im Namen der Geschäftsführung und des gesamten Personals möchte ich mich verbindlichst für die verspätete Zustellung dieser Nachrichten entschuldigen. Ich werde mich persönlich darum kümmern, dass so etwas nie wieder vorkommt und –«
»Ruhe jetzt.« Taske öffnete den Umschlag und ging rasch die Zettel darin durch. Sie kamen alle von einer Person.
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