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Schleier der Traeume

Schleier der Traeume

Titel: Schleier der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Viehl
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knirschten, doch Nathan behielt die Oberhand, hämmerte mit den Fäusten auf ihn ein und zerschlug ihm Kiefer, Zähne und Augenhöhlen. Erst als der Mann erschlaffte, kam Nathan taumelnd auf die Beine und wollte seine Frau holen.
    Der Lieferwagen aber war die abschüssige Straße schon halb hinuntergerollt, wurde immer schneller, prallte gegen die Wand des Restaurants und wieder zurück auf die Straße und raste auf eine belebte Kreuzung zu.
    »Großer Gott, nein!« Nathan rannte dem Wagen nach und sah seine Frau mit bleichem, blutverschmiertem Gesicht durch die Hintertür nach ihm schauen. »Gisèle, spring raus«, schrie er. »
Spring!
«
    Der Fahrer des Sattelschleppers fuhr bei Grün in die Kreuzung und trat voll auf die Bremse, als der Lieferwagen ihm entgegenkam. Die Zugmaschine kam schlingernd zum Stehen, doch der Aufleger des Lkw s schleuderte krachend gegen den Lieferwagen und zerquetschte ihn wie ein Blechspielzeug.
    Geschrei und Gekreisch erhoben sich rings um Nathan, dann explodierte der Tank des Lasters. Überall splitterten Fenster, während ein Feuerball sich ausbreitete und Sattelzug, Lieferwagen und mehrere Autos einhüllte.
    »
Monsieur
«, rief jemand, und Hände zerrten an Nathan. »
Monsieur
, kommen Sie zurück!«
    Er befreite sich von den klammernden Fingern und rannte genau in dem Moment ins Feuer, als der Tank des Lieferwagens explodierte.
    »Er hat nichts gesagt?«, fragte eine unvertraute Stimme auf Französisch.
    »Seit der Einlieferung kein Wort«, antwortete jemand in der gleichen Sprache. »Und er wird vor seinem Tod wohl auch nicht mehr reden.«
    Nathan konnte die Augen etwas öffnen, doch einmal mehr sah er nur einen Streifen schwarz-rot gefleckten Mull. Er wusste bereits, dass Verbände seinen Kopf und den Großteil seines Körpers bedeckten. Er spürte keinen Schmerz, nur das Fehlen von Empfindungen und die Unfähigkeit, sich zu rühren, als wäre sein Körper tot und nur der Verstand noch lebendig.
    »Er ist bereits zwei Wochen hier«, bemerkte die erste Stimme. »Gut möglich, dass er überlebt.«
    Zwei Wochen in diesem Zustand. Nathan versuchte, das zu begreifen. Seine letzte Erinnerung war, dass er über den Markt gegangen war, um Gemüse und Butter zu kaufen. Er hatte mit Henri gesprochen, dem Fischhändler. Und dann … nichts. Nur dass er ab und an die Augen öffnete und durch die Schlitze der geschwollenen Lider fleckige Verbände sah.
    »Er hat an weiten Teilen des Körpers Verbrennungen dritten Grades und obendrein eine Infektion, die wir nicht identifizieren können. Es dauert nur noch wenige Stunden, denke ich.« Der zweite Mann seufzte. »Aber er kann das nicht getan haben, Inspektor. Er ist ins Feuer gerannt. Er hat sich das angetan, weil er sie retten wollte.«
    »Sie retten, Doktor?« Der Polizist lachte. »Die Augenzeugen sind sich darüber einig, dass niemand diese Explosion überleben konnte. Warum hätte er also ins Feuer rennen sollen? Um Menschen zu retten, die schon tot waren?«
    Eine Explosion? Tote?
Ein Erinnerungsbruchstück tauchte vage und zusammenhanglos auf und mit ihm schreckliche Geräusche und grelles Licht, aber keine Gesichter. Keine Menschen.
    »Ich glaube nicht, dass er die Giustis umgebracht hat«, erwiderte der Arzt entschieden. »Niemand, der zwei Menschen ermordet hat, würde Minuten später unter solchen Opfern andere retten wollen.«
    »Er ist dem verunglückten Lieferwagen nachgerannt«, sagte der Inspektor. »Wir wissen, dass Giustis Tochter darin war; das konnten wir anhand des Gebisses identifizieren. Vielleicht hat sie alles mitangesehen und wollte vor ihm fliehen. Womöglich hat er sie verfolgt und den Unfall sogar herbeigeführt, um sie zu töten.«
    »Und dann hat er sich in einem Anfall sofortiger Reue in die Explosion geworfen?« Der Arzt schnaubte verächtlich. »Inspektor, Sie haben zu viel Zeit mit Mördern verbracht. Sie verdächtigen jedermann, sogar diesen armen Narren.«
    »So ist es. Und nach seinem Tod will ich eine Autopsie. Ich möchte genau wissen, wer dieser arme Narr ist.«
    Nathan hörte die Männer das Zimmer verlassen, aber nur wie von fern, als wäre sein Verstand gelähmt wie sein Leib. Das Licht jenseits der Verbände wurde langsam dunkler, während er versuchte, alldem einen Sinn abzugewinnen. Gisèle war tot, ihre Eltern ermordet. Und er lag im Sterben.
    Ihm wurde schwindelig, dann schwarz vor Augen, und er stürzte ohnmächtig in die Leere, in der es nichts gab, weder Farbe noch Geräusch, weder Geruch noch

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