Schleier des Herzens (German Edition)
Spannung, eine schwüle Atmosphäre des Wartens, als winde eine Spinne ihr Netz. Mustafa war sich sicher, dass er nicht allein so empfand. Auch die Mädchen schienen die sich aufheizende Luft zu spüren. Ihre Bewegungen waren träger, ihr Lachen leiser, die Gespräche auf den Fluren waren häufiger ein Flüstern als das übliche Kichern und Geplapper.
Wie magisch angezogen lenkte Mustafa seine Schritte zu Beatriz’ Gemächern. Vielleicht war sie noch nicht zu den Bädern aufgebrochen, dann konnte er sie begleiten. Die Eunuchen betraten die Bäder der Frauen selten. Es war zwar nicht direkt verboten, aber sie sollten sich auch nicht am Anblick ihrer nackten Körper weiden. Zu groß war die Gefahr, dass sich doch noch etwas in den Männern regte, dass Liebe entflammte, auch wenn sie keine Erfüllung mehr finden konnte. Beatriz gönnte Mustafa nur selten einen Blick auf ihre vollkommenen Brüste oder Hüften, aber er liebte auch einfach ihren Duft, die rosige, weiche Haut nach dem Bad, ihre entspannten Gesichtszüge und ihr Lächeln. So früh am Morgen waren auch noch keine Badefrauen zur Stelle und Susanna war nicht zu bewegen, ihre Herrin vor Tau und Tag zu begleiten. So erlaubte sie Mustafa, ihr feuchtes Haar zu bürsten, duftende Essenzen hineinzukneten und die Locken schließlich zu trocknen. Es war ein Geschenk, seine Hände in dieser seidigen Fülle zu baden; manchmal führte der Junge verstohlen eine Strähne an die Lippen und träumte seinen alten Traum.
Der Ritter hatte seine Dame erobert und bereitete ihr jetzt ein Bad, bevor er sie zu den Gestaden der Lust geleitete ...
Heute war Beatriz jedoch schon gegangen. Zumindest öffnete niemand auf sein Klopfen an ihrer Tür. Mustafa wunderte das nicht, Susanna hatte einen festen Schlaf. Der junge Eunuch wollte schon wieder gehen, als ein kleines Mädchen auf die Pforte zutrippelte. Pummelige, weiße Händchen umfassten sorglich ein kostbares Parfümfläschchen. Das Mädchen war einfach gekleidet, es sah aus, als hätte man es aus der Küche geholt. Als es die verschlossene Tür sah, füllten sich seine Augen mit Tränen der Enttäuschung.
»O nein, bitte sag nicht, deine Herrin ist bereits im Bad«, brach es aus ihm heraus. »Das darf nicht sein, ich soll ihr doch dies hier vorher überreichen. Der Emir schickt es aus einer Manufaktur in Al Mariya. Ein Duft, speziell für sie zusammengestellt. Der Bote ist die ganze Nacht geritten, damit die Herrin Beatriz es noch am Morgen vor ihrem Gang zu den Bädern erhält. Der Herr weiß von ihrer Gewohnheit, sie ganz früh aufzusuchen, und ich soll auch etwas bestellen ... irgendwas mit einer Morgensonne. Oh, Allah helfe mir, ich hab’s vergessen. Und ich bin zu spät! Meine Mutter wird mich züchtigen!«
Mustafa erinnerte sich jetzt. Die Mutter der Kleinen war Köchin – und tatsächlich ein Drache!
Er lächelte dem Mädchen zu.
»Gräm dich nicht, Yasmina. Ich werde mich in die Bäder begeben und der Herrin das Geschenk des Emirs aushändigen. Und ich bin sicher, mir fällt auch ein schöner Spruch dazu ein.« Er zwinkerte freundlich. »Irgendwas mit Morgensonne.«
Die Kleine strahlte.
»Oh, vielen Dank, Herr, vielen Dank! Kann ich wohl zurückgehen und sagen, ich hätte es ihr persönlich übergeben?«
Mustafa lachte.
»Das kannst du. Aber du kannst auch noch etwas hier warten. Das Frühstück für den Sohn der Herrin wird bald gebracht werden, und ich bin sicher, es wird mehr Honigkuchen und süße Milch dabei sein, als der kleine Ali essen kann. Du hilfst ihm ein bisschen, und wenn die Herrin zurückkommt, kannst du dem Boten des Emirs ihren Dank übermitteln.«
Yasmina strahlte und hockte sich vor Beatriz’ Tür. Susanna würde sie dort unweigerlich auflesen und füttern. Die alte Zofe liebte Kinder.
Mustafa selbst eilte zu den Bädern. Welch ein unerwarteter Glücksfall! Nicht nur, dass ihm ein Blick auf den vollkommenen Körper der Herrin vergönnt sein sollte, nein, er konnte ihr auch noch ein Geschenk ihres Liebsten überreichen und sie damit glücklich machen. Er stellte sich ihren Ausdruck vor, wenn sie das Parfüm entgegennahm, das Strahlen in ihren Augen, das süße Lächeln um ihren Mund ... Mustafas Glück wurde heute nicht einmal dadurch getrübt, dass er aus dem Augenwinkel einen Blick auf Zarah erhaschte, die eben in ihren Gemächern verschwand.
Vor den Bädern wartete Bazo, der riesige Nubier, der Beatriz bewachte. Er sprach nur wenig Arabisch, begrüßte Mustafa aber freundlich und
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