Schleier des Herzens (German Edition)
auf. »Er ist von den besten Architekten entworfen, die Gärten angelegt von Künstlern! Er ist ein Paradies!«
»Für Euch mag er ein Paradies sein, aber möchtet Ihr Euer Leben darin verbringen?« Der alte Jude sprach mit freundlichem und etwas unterwürfigem Lächeln, aber Amir hörte durchaus seinen sanften Tadel. Al Taíf hielt nichts von der Einrichtung des Harems; seine Töchter durften sich verhältnismäßig frei in Granada bewegen, und seine Gattin ließ sich ohnehin nichts vorschreiben. Freilich erlaubte sein Glaube dem Juden auch nur eine Frau ...
Amir dachte an Beatriz. Er musste den Tag der Hochzeit jetzt bald bestimmen. Sie würde bestimmt keine Einwände haben. War sie Jetzt doch die Einzige ...
Achtzehntes Kapitel
Amir streifte ziellos durch den Palast, wohl wissend, dass der Wesir dem Verurteilten im Kerker eben seinen Tod verkündete. Seine Umgebung machte ihm die Sache nicht einfacher.
Alle paar Stunden erschien eine Abordnung aus dem Harem, die im Namen der Eunuchen oder der Frauen um Mustafas Begnadigung bat. Zarahs Familie bestand dagegen auf völliger Aufklärung und strengster Ahndung des Mordes; auch hier hatten schon drei Verwandte vor der Tür gestanden und aufgebracht Rechenschaft gefordert. Al Taíf und Hammad wimmelten sie so weit als möglich ab, aber Zarahs Vater musste Amir empfangen, und es war eine peinliche Begegnung. Natürlich leugnete der alte Mann auch die harmloseste Version der Geschichte. Seine Zarah hätte niemals eine Affäre gehabt, erst recht nicht mit einem Eunuchen und dann auch noch einem derart jungen. In glühenden Farben schilderte er die Tugend seiner Tochter und erging sich in endlosen Tiraden über ihre verlorene Jugend und Schönheit, ihre Klugheit und Bildung, ihre Musikalität, ihre Freude an der Kunst ...
Das leise Pochen hinter Amirs Schläfen wuchs sich zum Kopfschmerz aus.
Zuletzt erschien auch noch Hammad und überbrachte die persönliche Bitte seiner versprochenen Gattin Ayesha, das Todesurteil für Mustafa noch einmal zu überdenken. Ayesha formulierte sehr höflich und vorsichtig, gab ihrem Verständnis für Amirs Haltung Ausdruck und bat dann doch um Gnade.
Mit Amirs Geduld war es jedoch zu Ende. Er zerknüllte das Pergament, warf Hammad hinaus und schloss sich in seinen Gemächern ein.
Als Al Taíf sich schließlich melden ließ, lag er mit brennenderStirn auf dem Diwan, presste Eis an seine Schläfen und versuchte, Kühlung und Linderung zu finden. Dann raffte er sich aber doch auf, den Wesir zu empfangen.
»Ein bemerkenswerter junger Mann«, schilderte Al Taíf bedauernd den jungen Eunuchen. »Er lässt Euch seine Grüße übermitteln, und er versteht Eure Beweggründe. Das Urteil nimmt er an. Er sagte, er nehme es ›mit Freude‹ an. Er habe seine Sünden gebüßt, Allah werde ihm das Paradies sicher nicht verweigern.«
»Habt Ihr ... habt Ihr ihm eine letzte Gunst angeboten?«, fragte Amir mit brennender Kehle.
Der Wesir nickte, schaute dabei aber etwas besorgt drein, als wüsste er nicht, wie der Emir die folgende Bitte aufnehmen werde.
»Er bittet darum, die Herrin Beatriz noch einmal sehen zu dürfen. Offenbar war sie immer sehr gütig zu ihm, er möchte ihr danken und sich von ihr verabschieden. Werdet Ihr ihm die Gunst gewähren?«
Amir nickte.
»Selbstverständlich. Sendet sogleich jemanden mit der Nachricht in den Harem. Es steht Beatriz frei, ihren Diener zu besuchen.«
Beatriz und ihre Freundinnen wälzten das Problem zum hundertsten Mal an diesem Tag. Susanna und Beatriz hofften nach wie vor auf Gnade für den jungen Eunuchen, während Ayesha die gleichen Gründe dagegen anführte wie Amir. Beatriz rechnete es der Freundin hoch an, dass sie trotzdem einen Bittbrief an den Emir schrieb und durch ihren Hammad befördern ließ. Auch die anderen Frauen setzten ihre Namen unter eine Petition und ließen sie dem Emir durch einen Eunuchen überbringen.
Blodwen sprach nach wie vor kein Wort, sondern spielte nur die Harfe. Endlose, monotone Melodien derTrauer, die Susanna und Beatriz Kopfschmerzen verursachten. Schließlich flüchteten die Frauen, nur um auf den Korridoren immer wieder angehalten und nach den Ereignissen der Nacht befragt zu werden. Der Klatsch blühte.
Beatriz frohlockte, als sie gegen Abend die Erlaubnis erhielt, Mustafa zu besuchen.
»Siehst du, sie lockern schon die Haftbedingungen!«, erklärte sie Ayesha. »Der Emir ist nicht so grausam. Du wirst sehen, sie lassen Léon jetzt ein paar Tage im
Weitere Kostenlose Bücher