Schleier des Herzens (German Edition)
zu dürfen, sondern pochte nur unruhig in Trauer und Scham. Aber er musste ihr die Nachricht unbedingt selbst überbringen, bevor Beatriz sie durch den Klatsch im Harem erfuhr.
In Beatriz’ Gemächern fand er jedoch nur Susanna und Blodwen. Die kleine Harfnerin hatte in den frühen Morgenstunden ihr Lied beendet. Die Harfe war plötzlich verklungen, dafür erfüllte Blodwens Schluchzen die Nacht.
Der Emir warf einen Blick auf ihr weißes, verquältes Gesicht, sie erwiderte ihn ernst. Auch Amir wirkte erschöpft und angespannt.
»Du ... weißt es ...?«, fragte er leise. Irgendetwas sagteihm, dass dieses Mädchen gestern und heute Nacht in anderen Sphären geweilt hatte; ihre Harfe hatte die Grenzen des Harems gesprengt.
Blodwen nickte.
»Beim ersten Kuss der Sonne. Es war nicht schwer. Und er trägt Euch nichts nach.«
Aufgewühlt machte sich der Emir auf den Weg zu den Bädern.
Beatriz lag still in einem Becken voll warmen Rosenwassers. Sie fühlte sich besser, so als wäre ein Albtraum von ihr genommen. Vielleicht lag es ja daran, dass Blodwen endlich ihr enervierendes Spiel beendet hatte ...
Das Mädchen sah verdutzt auf, als der Emir das Bad betrat. Sein bewundernder Blick umfasste ihren rosigen Körper, schwerelos getragen vom duftenden Wasser, umspielt von den langen Strähnen ihres goldenen Haares. Beatriz lächelte, als sie ihn sah. Es war ein einladendes Lächeln. Aber heute war nicht die Zeit für die Liebe.
Amir nickte ihr nur kurz zu.
»Komm, meine Geliebte. Komm heraus, wir müssen miteinander reden ...«
Verwundert, aber ohne falsche Scham entstieg Beatriz dem Becken.
Amirs Herzschlag beschleunigte sich, als sie sich in ein schneeweißes Badetuch hüllte. Er konnte nicht anders als an sie heranzutreten und sie zu küssen. Beatriz erwiderte den Kuss zärtlich. Sie presste sich an ihn. Amir nahm sie in seine Arme und zog sie auf eine der Ruheliegen. Beatriz wollte sich ausstrecken und ihm ihren Körper darbieten, aber er behielt sie im Arm und nahm sie wie ein Kind auf den Schoß.
»Beatriz, es tut mir Leid, es dir sagen zu müssen. Aber dein kleiner Freund ist tot. Der junge Eunuch ... Mustafa ...«
»Léon ...« flüsterte Beatriz wie abwesend. »Sein Name war Léon.«
»Wie auch immer. Er ... hat seinem Leben ein Ende gemacht.«
Beatriz schien es jetzt erst zu begreifen.
»Er hat Selbstmord begangen? Aber wie? Warum? Du hättest ihn doch begnadigt!«
»Ach, Beatriz ...«Amir seufzte und küsste ihr Haar. Warum sollte er jetzt noch von Staatsräson reden? »Er hat sich erhängt, Geliebte. Heute Morgen, in seiner Zelle.«
»In der Stunde, als die Harfe verklang ... Mein Gott, Amir, was ist da vorgegangen, was hat Blodwen gespürt und gewusst? Aber ... womit, um Himmels willen, hat er sich erhängt? In dieser Zelle gab es doch nichts, was ...« Beatriz’ Augen blickten ungläubig. »Da hat doch nicht womöglich jemand ... nachgeholfen?«
Amir schüttelte den Kopf.
»Nein. Er hatte ein Seidentuch ...«
»Ein ... mein Schleier ... o nein, er hat sich mit meinem Schleier erhängt ...« Beatriz schluchzte auf.
Amir ließ sie an seiner Schulter weinen und streichelte dabei tröstend über ihre nackte Schulter.
»Weine nicht um ihn, Geliebte, er hatte einen glücklichen Tod«, sagte er schließlich. »Umfing ihn nicht dein Duft bis zum letzten Atemzug? Schmiegte er sich nicht in deine Umarmung, als er das Tuch um seinen Hals schlang, das noch warm war von deinem Körper? Jeder Mann, meine Morgensonne, würde sich wünschen, so zu sterben.«
Beatriz schmiegte sich in seine zärtliche Umarmung, aber seinen immer fordernder werdenden Küssen ergab sie sich diesmal nicht.
Stattdessen entzog sie sich Amirs tröstend streichelndenHänden und trat hinaus in den Garten, der an die Bäder grenzte.
»Zumindest hat er seine Freiheit«, sagte sie leise, und Amirs Herz krampfte sich zusammen, als er die Wehmut in ihrer Stimme mitschwingen hörte. Es sah die Liebe in ihren Augen, aber er spürte auch ihre Sehnsucht. Für Beatriz würden die fein ziselierten Gitter vor den Ha”remsfenstern niemals die Kunstwerke sein, die Amir darin sah. Für sie blieben die Frauengemächer ein Gefängnis.
Neunzehntes Kapitel
»Wann sollen wir denn jetzt den Hochzeitstermin festsetzen?«, fragte Amin Er wanderte Hand in Hand mit Beatriz durch die Gärten der Alhambra und genoss die Strahlen der Frühlingssonne. Alles grünte und blühte; die Pracht der Blumen, die leuchtenden Farben der Mandelblüte, die
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