Schleier des Herzens (German Edition)
Gefängnis, aber wenn sich die Wogen geglättet haben, kommt er frei!«
Ayesha hob skeptisch die Schultern. »Ich würde es mir mehr als alles andere wünschen«, sagte sie höflich, aber ihr Ausdruck ließ keinen Zweifel über ihren Mangel an Hoffnung.
Beatriz kleidete sich sorgfältig für ihren Besuch im Kerker. Léons Schwärmerei für sie war ihr natürlich nicht entgangen, und sie hoffte, ihm eine Freude zu machen, wenn sie sich für ihn herrichtete wie für einen Besuch beim Emir. Im Kerker würde es düster sein, also wählte sie helle Kleidung. Grün und Topas, die Farben des Meeres an einem sonnigen Herbsttag. Eine Fülle leichter Schleier, die ihren Körper umspielten, dazu den Aquamarin-Anhänger, den Amir ihr geschenkt hatte. Er blitzte verheißungsvoll unter ihren Schleier hervor, betonte das Tal zwischen ihren Brüsten, das sich hinter dem Chiffon abzeichnete. Beatriz erneuerte die Hennaranken auf Händen und Füßen und erlaubte, dass Susanna etwas Schminke auf ihre blassen Wangen legte und die sorgenvollen Ränder unter ihren Augen abdeckte.
Der Eunuch, der sie in den Kerker führte, schaute sie bewundernd an.
»Euer Anblick wird ihn mit Seligkeit erfüllen, und die Erinnerung an Euch wird seinen letzten Weg erleuchten«, sagte er mit einer ehrfurchtsvollen Verbeugung. »Bitte übermittelt ihm unsere Grüße und unsere Trauer.«
»Ihr braucht nicht zu trauern! Er wird begnadigt werden. Ganz sicher!« Beatriz lächelte dem Mann zuversichtlich zu und folgte ihm dann beklommen durch die dunklen Gänge des Verlieses. Auf sein Geheiß hin warf sie einen dichten Schleier über, als sie endgültig den Kerker betraten. Ein vierschrötiger Mann, der Kerkermeister, schloss ihr eine Zelle auf.
Beatriz atmete tief ein und betrat das Verlies.
Mustafa lag auf einem Strohbett in einer Ecke des Kerkers. Man hatte ihm seine seidene Kleidung und seinen wertvollen Turban genommen. Nur ein leichtes Untergewand bedeckte notdürftig seine Blöße. Beatriz sah sein weißes Fleisch, das noch Spuren von Zarahs Peitschenschlägen zeigte. Für einen Eunuchen war er schlank, die mädchenhaften Rundungen, die seine Verstümmelung auf die Dauer nach sich zog, waren noch nicht ausgeprägt, allenfalls wirkte er etwas kindlich. Ein verlorenes Kind mit weichen, dunklen Locken, die sein rundes, blasses Gesicht noch bleicher wirken ließen. Der Jüngling hielt die Augen geschlossen, er wirkte seltsam friedlich, Beatriz hatte fast Angst, ihn aus seinen Träumen zu reißen.
»Léon?«, fragte sie leise.
Der junge Eunuch schrak auf, versuchte schamhaft, sein Hemd über seine Wunden zu ziehen.
»Meine Herrin!« Mustafa warf sich vor Beatriz auf die Knie. »Gott ist gnädig. Er vergönnt mir noch einmal, Euch zu sehen.«
»Nicht doch, Mustafa!« Verschämt reichte Beatriz ihmdie Hand, um ihn aufzurichten. Der Knabe nahm sie nicht. Er blieb vor ihr auf den kalten Steinen des Kerkers knien. Sein Gesicht zeigte dabei den Ausdruck reiner Glückseligkeit.
»Der Emir weiß, warum du es getan hast. Er wird dich begnadigen. Ich selbst, Mustafa, habe ihn darum gebeten.«
Mustafa schüttelte leicht den Kopf. »Er kann es Euch nicht gewähren, Herrin. Nicht einmal Euch, so sehr er Euch liebt. Die Familie der Herrin Zarah ist erzürnt, sie will meinen Tod. Wenn der Fürst mir das Leben schenkt, bedeutet das einen neuen Bürgerkrieg. Das kann sich Granada nicht leisten ...«
»Aber ... aber er muss dich begnadigen!«, rief Beatriz verzweifelt, und Tränen des Zorns und der Hilflosigkeit brannten in ihren Augen.
Mustafa richtete sich langsam auf.
»Ich danke Euch für Euer Mitgefühl, Herrin, aber seht, ich fürchte den Tod nicht. Mein Leben war zu Ende, als man mir ... das hier ... antat. Vielleicht schon, als man mich von der Seite meiner Mutter wegriss und aus Kastilien entführte.« Der Jüngling sah verschämt an sich herunter. »Ich sehne mich nur noch nach Frieden. Verdammt mich nicht zu einem längeren Leben in diesem Körper!«
Beatriz suchte nach Worten, um ihn zu trösten. »Aber du kannst trotzdem glücklich werden. Du musst nicht im Harem bleiben. Du könntest hohe Ämter erwerben, du könntest ...«
Mustafa lächelte müde.
»Was bedeuten mir die höchsten Ämter, wenn ich die Ehre nicht mit einer Frau teilen kann, die mich liebt? Wie kann ich täglich die Blumen des Harems sehen und herrichten für einen anderen Mann? Wie kann ich ihr Lächeln ertragen, ihre Scherze, ihre Gunst, wenn ich ihnendoch niemals Liebe geben
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