Schleier des Herzens (German Edition)
Die Dienerschaft munkelte, dass er fast nie seine Räume verließ. Später rief er gelegentlich erfahrene Frauen wie Fatima oder Darja zu sich. Beatriz erfuhr nicht, ob es ihnen gelang, ihn zu erregen. Die älteren Odalisken klatschten nicht, sondern bewiesen Diskretion.
Beatriz gelbst hatte die Nacht mit Mammar unerwartete Sympathien der anderen Haremsmädchen eingebracht. Man betrachtete sie nicht mehr als Außenseiterin, sondern als vollwertiges Mitglied der Frauengemeinschaft. Dabei gingen die Frauen natürlich davon aus, dass Beatriz über die Worte Fatimas und Darjas nachgedacht und sich Mammar aus Mitleid mit Ambar hingegeben hatte. Dass sie den Herrn nur eine Nacht zu fesseln wusste, nahm man schulterzuckend hin. Viele der Mädchen, die ohne größere Ausbildung in den Künsten der Liebe in Mammars Harem gekommen waren, hatten sein Bett nur eine Nacht geteilt. Dies war das Schicksal vieler Jungfrauen im Harem alternder Männer, man dachte nicht großartig darüber nach.
Umso mehr Gedanken machten die Mädchen sich darüber, wie der endlos lange Tag in den Frauengemächern zu füllen war. Arbeit gab es nicht für die Odalisken. Zofen und Eunuchen lasen ihnen jeden Wunsch von den Augen ab. Viele Stunden füllten die Mädchen folglich mit Schönheitspflege. Sie verdrängten das Wissen, dass der Herr ihre Bemühungen nie anerkennen würde. Auch das Essen hatte einen großen Stellenwert. Praktisch überall wurden Leckereien serviert, auch Beatriz merkte zusehends, wie sich ihr Körper rundete. Bedauernd sah sie ihre zarteTaille schwinden, aber im Harem galt eine gewisse Körperfülle als erstrebenswert. Die anderen Mädchen neckten sie gutmütig und fütterten sie nur noch mehr.
Ansonsten konnten die Odalisken lesen oder musizieren. Viele von ihnen brachten es zu beachtlichen Leistungen auf der Laute oder der Gitarre. Ein paar hatten schöne Singstimmen, und Beatriz beobachtete fasziniert, dass auch sie gezielt geschult wurden. Fatima, ursprünglich eine Schülerin der sagenhaften Khalida, unterrichtete die Mädchen in Stimmbildung und Atemtechnik. Andere Frauen waren gute Tänzerinnen und gaben ihr Wissen weiter. Besonders beim Schönheitstanz wurde viel gelacht. Kichernd verriet Darja Beatriz, dass die raschen, rotierenden Bewegungen der Körpermitte auch dazu dienen konnten, potenzschwachen, fülligen alten Herren bei der Einführung ihrer Lanze in den Mädchenkörper behilflich zu sein. Beatriz fand die Vorstellung abstoßend, aber es erfüllte sie mit Stolz, dass sie Darjas Erklärung dazu verstand. Ihr Arabisch machte in diesen Wochen rasche Fortschritte. Kein Wunder, hatte sie doch Dutzende freundliche, geduldige Lehrerinnen, die sich bemühten, sie zu verstehen und von ihr verstanden zu werden. Niemand war ungeduldig im Harem, niemand war in Eile. Wenn etwas im Übermaß vorhanden war, so war es Zeit.
Selbst Soraya, Al Khadiz’ Erste Gemahlin, schien sich inzwischen mit Beatriz’ Anwesenheit im Harem abzufinden. Wenn sich die Frauen zufällig in den Bädern trafen, grüßten sie einander kühl. Beatriz selbst bereute inzwischen ihre auffahrenden, unhöflichen Bemerkungen gegenüber der älteren Frau. Sie verstand die Denk- und Verhaltensweisen der Frauen im Harem inzwischen besser und wusste, wie albern sie sich aufgeführt hatte. Im Prinzip hätte sie sich gern bei Soraya entschuldigt, wagte es aber nicht, sie um ein direktes Gespräch zu bitten.Stattdessen bemühte sie sich um kleine Gesten der Verständigung; sie ließ zum Beispiel spezielle kastilianische Gerichte und Süßspeisen zubereiten und sandte Soraya eine Kostprobe. Die Köchin kam diesen Wünschen gern nach. Sie war Beatriz immer noch dankbar für die Erhöhung ihrer Tochter in den Stand einer Odaliske. Ambar selbst teilte diese Dankbarkeit aber offensichtlich nicht. Sie war die Einzige, die sich Beatriz gegenüber noch offen unfreundlich verhielt. Beatriz ging ihr am liebsten aus dem Weg, aber nicht immer ließ sich das machen. Zumal sie dem Mädchen gegenüber auch keine Schwäche zeigen wollte. So ließ sie sich denn auch zähneknirschend mit beiläufigem Gruß ins Becken gleiten, als sie Ambar eines Tages, drei Monate nach der Nacht mit Mammar, im großen Kaltwasserbecken schwimmen sah.
Im Stillen bewunderte sie die schlanke Figur des Mädchens, das allen Leckereien zum Trotz zierlich blieb. Ambar schien Beatriz’ Blick auf ihre Taille aufgefallen zu sein. Sie gab ihn frech zurück und lächelte anzüglich.
»Das Leben im Harem
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